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Elektra

Georg Solz



© Gregorius Vatis Advena 2012, Record D 2, Engl. Electra, October 2012, Oxford, heterometric verse, Greek theatre, 1329 lines, dramatic poetry, German.



Elektra

Einleitung

Nachdem König Agamemnon auf Apollos Befehl die Tochter Iphigenie opfert, wird er von seiner Gattin Klytaimestra und von Aigisthos ermordet. Dieser wird König und heiratet Klytaimnestra. Apollo fordert Rache. Agamemnons überlebende Kinder Elektra und Orestes wollen nun ihre Mutter Klytaimnestra töten.

Elektra zeigt die Paroxysmem von Personenkult, Patriarchalismus und politischem Extremismus. Das apokalyptische Ende, in das selbst Apollo verwickelt wird, ist ein Bruch mit der altgriechischen Tradition. Zur politischen Polemik kommt ein verstörendes Aufeinanderprallen kontrastierender Sprachgebräuche.


Étude Op. 10, Nr. 9, Chopin, gespielt von Chiara Bertoglio – Musopen CC BY 3.0.


Die Unversöhnlichkeit von Inhalten, Diskursen und Stilen offenbart sich auf allen Ebenen. Der Vers ist dementsprechend unregelmäßig und heterometisch. Die Anzahl der Silben und Hebungen ist flexibel. Der Versfuß variiert in iambischen, daktylischen und gemischten Stellen. Die Satzstellung ist frei.

Die Gliederung wird von der klassischen Tragödie übernommen: Nach dem Prologos spielen die längeren Hauptszenen (Epeisodien) zwischen Chorliedern (Parodos und Stasimen) und das Stück endet im Exodos.













Dramatis Personae



ELEKTRA, Agamemnons Tochter
KLYTAIMNESTRA, Elektras Mutter
ORESTES, Elektras Bruder
AIGISTHOS, Klytaimnestras Gatte und König Mykenes
APOLLO, Olympischer Gott
CHOR der Greisen und Priester Mykenes
BOTE, vom Schlachtfeld gesandt


ORT: Mykenes Königshof











PROLOGOS

KLYTAIMNESTRA. ELEKTRA.


Elek. Hure!

Kly.           Verwegene!

Elek.                               Wende dein Antlitz!

Kly. Tu es, Grausame, töte mich jetzt!
Lass mich meine Kleider zerreißen,
dass du genau die verfluchte Stelle
triffst, die dich geboren einst 5
und deinen Hass! Verachte das Brot,
das du bei uns so gerne frisst,
vergiss die Mutter, die dich erzog.
Du sollst deine Missetat verüben,
eh das Licht deine Schande bezeugt. 10
Beleidige die Sonne nicht, Elektra,
handle früher, erwähle zum Mord
der Gauner Arbeitszeit, die Nacht.
Lass mich aber endlich erfahren,
bitte, aus welchem Grund du bereitest 15
mir diesen blutigen Todesschlag.
Lass mich hören, wie wenig dankbar
du bist: Verrate dein Ziel, sprich!

Elek. Undankbar, ich? Du hast was geraucht!
Gefällt es den hehren Göttern, sag, 20
dass jene, der Haus und Ehre gegeben,
den Herrn und ihren König ermordet,
vom Oberfeind sich nun ficken lässt?
Zerreiß deine Kleider nicht zu früh,
o nein, du wirst am Mittag krepieren. 25
Selbst der Mond in der Ferne versteckt
vor Dirnen sein Gesicht und betrachtet
die Wut Apollos, schrecklichen Strahl!
Die Zornesaugen erwarten dich schon
im Augenblicke des Schreckens. Zack! 30
Und sofort liegst du tot auf dem Boden,
in Hades Wasser gleich zu ertrinken.
So kann das Volk erfahren bei uns,
wie Trug und wie dein blöder Verrat,
im Bunde mit Lust und List und Mord 35
in dieser Burg Bestrafung verdient.
Wie? Man sollte länger ertragen
Schurken, Huren wie dich in Hellas,
Mensch und Gott unendliche Pein?
Du hast geglaubt, du Pornotalent, 40
der Tag der Rache zaudert und wartet?

Kly. Erspare mein Ohr, um Gottes willen!
Viel Unheil hat dein Gelaber gestiftet
der Welt. Du nimmst den Mund ja so voll.
Tyrannen, das glaubt der Weise stets, 45
gefallen weder Göttern noch Völkern.
Du weißt indes als letzte noch nicht,
was einst Agamemnon war, dein Vater?
Frage Mykene, das Volk wird’s sagen!
Ich sollte meine Taten bereuen? 50
Was ich bedaure, Tochter, bist du:
Ich bin nicht die, deren Todeshand
bestrafte den König, Vater dein!

Elek. Nein, du tatst es mit dem Mund,
dem Hurenleib, der mit dem Mörder 55
schläft und es mit jedem treibt!
Na, du schweigst? Gesteh, bevor
der Dolch dich in die Hölle schickt!

Kly. Ich sehe, welch ein widrig Geschlecht
dein Vater zeugte dereinst in mir. 60
Doch nie zuvor ich vernahm, noch sah,
dass Menschen Löwen geboren hätten.
Elektra, mein Leib erkennt dich nicht.

Elek. Dein Blut auf dem Boden wird es tun!

Kly. Schweige lieber, du wirst es bereuen! 65

Elek. Dich so spät dem Tode zu freien?

Kly. Verstand so früh verloren zu haben!

Elek. Ich töte, damit ich leben könne!

Kly. Den Muttermord zu preisen einst?

Elek. Gerächten Vater, den Vätern Recht! 70

Kly. Verderbnis dir zu bringen allein!

Elek. Die Zeit soll zeigen, wem Verderbnis!


PARODOS

CHOR.

Chor. Willkürlich Schicksal, erbarme dich,
du mutterloses, der kaum geborenen
Kinder, berühre später dein Opfer. 75
Gedeihender Jugend beneidet Zufall
die Tugend, Helden zürnt er gar.
Aber wollen die Götter ein armes
Gemüt, ein reines Wesen bestrafen?
Welches Gesetz verletzt Elektra, 80
des Königs Tochter, da der Hass
der Himmelsführer in ihr entflammt?
Richte, Apollo, sie nicht zugrunde,
die Gutes und Böses kaum erkennt.
Enttäusche nicht die Treue der Reinen. 85
Lasse lieber den Fremden die Mutter
töten, erspare vergebliche Reue.
Ist es wahr, ihr Greisen Mykenes?
Elektra wird am Tage der Wahrheit
besudelt, jedes Verbrechens Schuld 90
erscheinen Hellas’ einstige Blüte,
befleckt betreten des Richters Hof.
Den Stärkeren soll der Kriegsentfacher,
den argen, stolzerfüllten erschlagen,
nicht den Schwachen verleiten. Weh! 95
Ich kann nicht zügeln bittere Tränen,
schon erahne unsägliches Unheil,
wenn kein gesunder Verstand Elektras
schreckliche Sinne rasch erhellt.
Verderben möchte wieder den Weisen 100
besiegen, ein fester Hoffnungshasser,
in Brand das Haus des Harrenden stecken.
O Priester, das Elend rückt uns näher:
Mit welchen Waffen Schicksal begegnen?
Lasst uns lieber den Todestropfen 105
Libyscher Schlangen den Atem opfern,
dass nicht ein Auge dem Tag Elektras,
Mykenes peinliches Ende bekunde.
Doch halt, Gerechte! Lasst uns zuerst
erfahren, ob nicht durch Rat oder Tat 110
ein böser Beschluss sich ändern lässt.
Ein Schatten naht, betrachtet! Doch wer?
Ein weiser Gebieter kann kaum erahnen,
welch erschütternde Schmerzen ein Tag
allein bereitet Sterblichem. Endlos 115
wirst du, Mykene, des Morgens klagen:
Dein Schiff ist gegen Schicksal ein Wrack.


EPEISODION

ELEKTRA. ORESTES.

Elek. Fliehe, willst du sterben?
Die ganze Wache sucht dich!

Orest. Mord ist beschlossen, Schwester. 120
Bald krepieren die beiden.

Elek. Was soll ich aber tun, wenn du abhaust?
Du hast den Spruch des Orakels gehört!

Orest. Die Löwin, die den König bescheißt,
die beißt ins Gras! Gehorche dem Gott. 125

Elek. Ja! Nach all der langen Schande
gehört ein Remmidemmi dazu.

Orest. Soll ich lieber den Auftrag erfüllen,
eigenhändig die Pute ermorden?

Elek. Du wirst ja bald den Thron besteigen! 130
Mach dein Ding und lass mir meins.

Orest. Elektra! Am Mittag soll sie sterben
vor den Augen des Phoibos, verstanden?

Elek. Wie wirst du schalten, was wirst du tun?
Was geschieht mit dem Mörder Aigisthos? 135

Orest. Der den Gönner verriet? Geheimnis!
Ich werde ihm die Schuhe ausziehen.

Elek. Wo gehst du hin, Orestes? Warte lieber!
Die Nacht ist lang und du verschwindest?

Orest. Ich muss Athen vom Feind erretten. 140
Am Morgen sehen wir uns wieder.

Elek. Ist der Krieg verloren?
Ist Hellas noch zu retten?

Orest. Hege Hoffnung, der Frieden siegt.
Der Tapfere wird vom Gott belohnt. 145

Elek. Welches Gefühl beschleicht mich,
dass du nicht wiederkommst?

Orest. Vergiss das Gefühl und höre!
Ich schwöre, ich komme zurück!

Elek. Geh doch hin, Orestes, eile, 150
dass wir uns morgen wiedersehen!

Orest. Lass das Trauern, trockne die Träne.
Du sollst an meine Liebe glauben!

Elek. Ich werde die Hure töten,
Bruder, wo immer du bist! 155

Orest. Bleibe ruhig, urteilen sollst du am Ende.
Du wirst erfahren, was mein Schwur bedeutet. (ab.)

AIGISTHOS. ELEKTRA.

Aigis. Elektra! Ich finde dich endlich
nach langer Suche! Wo warst du?
Was plagst du wütend die Mutter? 160
Das Drohen ist dir nicht ziemlich!

Elek. Was hat nun Aigisthos mir zu sagen?
Nicht ziemlich ist es Königskindern,
Hundegebell Gehör zu verleihen.

Aigis. Soll ich doch tatenlos betrachten, 165
wie du Klytaimnestra bedrohst?
Verzögere dein Gericht! Erkenne,
dass du nicht weißt, wovon du redest.

Elek. Du kannst deine Nutten bescheißen.
Getraust du dich, meine Trauer 170
zu kränken? Du tötest den König,
raubst ihm die eigene Gattin,
betrügst ein Volk und verbannst
Orestes, den wahren König.
Ich sollte der nächste Sieg 175
des Grausams sein? Vergiss es,
Alter, das war’s mit dem Schwindel.
Was willst du damit erreichen?
Lass mich in Ruhe, nicht Ohren
verdienst du, du brauchst den Tod. 180

Aigis. Den Vater ehren ist deine Tugend?
Selten sieht man solche Achtung
bei beneideten Kriegern in Hellas.
Die Welt ist keine Wagner-Oper!
Wer vermag es, beim Blitz des Zeus, 185
dein blödes Urteil nicht zu bedauern?
Möge der Pluto, des Hades Torhüter
und Henker übersehen dein Unrecht!

Elek. Du willst doch Mörder verteidigen?

Aigis. Elektra! Der Racheschlag war mein! 190
Höre mein Wort um des Vaters willen,
denn deins hat alle schon besudelt.
Du willst die Mutter töten, Verdammte,
nachdem sie dir das Leben gerettet?
Dein Vater starb, damit du lebtest! 195
Du wärest nach der Schwester die nächste.
Soll ich vergehen vor Leid zu beweisen,
dass du nun unter der Erde lägest
wenn Agamemnons Hand noch tobte?

Elek. Wird der billige Zuhälter schweigen? 200
Alter, nicht der Dümmste könnte
gelassen deinen Schwachsinn vernehmen.
Du bist ein krasser Typ, mein Lieber,
ich dachte sogar, ich kannte mich aus.
Wagt es der Hurensohn noch einmal, 205
den Namen meines Vaters zu schänden?
Wer könnte glauben, dass so ein Bandit
aus Heldentum einen König ermordet?
Guck dich ja an, Mafioso, erkenne
doch das Kaliber deines Opfers! 210

Aigis. Mädel, du gehst mir auf den Geist!
Du nennst es höheres Trachten,
die eigene Tochter wegzuopfern,
von deines Vaters Hand erschlagen?

Elek. Belehr mich, Mörder meines Königs! 215
Mein Vater hatte dich aufgenommen,
bevor dich der Löwe zerfressen hätte.
Aus deinem Schlangennest du wurdest
erhoben und selbst vom Tode gerettet,
Viper, um deinen Retter zu morden? 220
Verschenket ward dir Brot und Dach,
und Hof und Weib du nahmst dem Gönner.
Du heißt Betrug und willst Vertrauen?

Aigis. Betrogen hat dein Vater die Bürger!
Freund und Feind erschlug der Schurke, 225
das wirst du wohl vergessen haben.
Ich wiederhole: Wo ward es gesehen,
dass man den eigenen Sohn oder Tochter
für Gott ermordet? Werde nun Mutter
und trage das Wörtchen Muttertrauer 230
tief ins Buch deines Lebens ein!

Elek. Du bist ein Lügner, du,
behalte für dich allein
der Gauner leichte Kunst.
Was du von Göttern hältst, 235
das wage ich nicht zu sagen,
denn das verrätst du selbst.

Aigis. Indem ich dein Leben rette,
halt ich wenig von Göttern?

Elek. Das Leben achtet keiner der Weisen, 240
sobald der Götter Hand es erbittet.

Aigis. Habe du Erbarmen mit deiner Mutter,
die das Leben nur für deins gefährdet.

Elek. Den Lohn der bösen Taten wirst du betrachten.
Nicht länger soll dieser Dolch des Tages harren. 245

Aigis. Männer des Undanks haben öfter
für weniger Worte den Tod gefunden!
Ich muss mit deiner Mutter reden.
Du wirst noch viel bereuen, Elektra! (ab.)

BOTE. ELEKTRA.

Bote. Sage, Mädchen, wo ich Elektra finde! 250

Elek. Wer hat dich geschickt? Was willst du?

Bote. Geheimnis schickt mich, Elektra zu sprechen.

Elek. Elektra du siehst! Sprich und verpiss dich!

Bote. Orestes wird in Athen erwartet.

Elek. Die Stadt ist weit für sterblichen Fuß! 255

Bote. Dem Helden ist keine Tat unmöglich,
Wenn die Not in der Schlacht ihn ruft.

Elek. Von Athen will Orestes zeitig wiederkehren?
Verhindere, Bote, solchen Schwachsinn, schnell!

Bote. Schon beschreitet er nächtliche Wüsten, 260
schickt, dass ich diesen Dolch dir gebe.

Elek. Ich kenne wohl diese Spitze!
Noch riecht des Aigisthos Messer
nach Fleisch. Orestes stahl es
und gibt es der richtigen Hand. 265
Mit dieser Waffe sollst du,
Mutter, dein Ende finden.

Bote. Für welchen Gebrauch dies sei,
entzieht sich meinem Wissen.
Mich heißt der Bruder zurück. 270
Der nächste Auftrag wartet,
ich muss ihn bald erreichen.

Elek. Sieh zu, dass du dem Bruder
diese tödlichste Klinge
gibst in die Hand, Gesandter. 275
Die opferte einst Iphigenie,
nun den Aigisthos. Hier!

Bote. Keine Sorge, ich geb ihm das Zeug.
Sieh zu, er sagt, dass du mehr tust
als laberst nur wie Barbie herum! 280
Das Volk Mykenes harrt deiner Hand,
Hellas der Rettung. Vollziehe die Tat.

Elek. Er weiß ja Wind zu machen, der Junge.
Sag ihm, er soll erscheinen und sehen,
die Taten werden ja wortlos sprechen. 285

Bote. Es war doch nett, dich kennenzulernen.
Du brauchst ja Mut, um deine Pflicht,
was immer sie auch sei, zu erfüllen. (ab.)

Elek. Ha! Der Dolch ist bereit,
Elektra, wanke nicht! 290
Heil deiner Todesstunde,
Klytaimnestra, und bade
schon bald in eigenem Blut!



Elektra






AIGISTHOS. ELEKTRA.

Aigis. Was schreist du wie geistesschwach
nach Tod und Hölle? Ist dieses, 295
Besessene, Vaters Geschlecht?
Was soll ich, Greise, der Tochter
beteuern, was soll ich versprechen?
Sie soll sich endlich benehmen!
Je mehr ich die Schlange nähre, 300
je mehr ertränkt mich das Gift.
Sag mal, Elektra, was ist denn?
Raus mit der Sprache, ich höre!

Elek. Begreift es der Mafioso noch nicht?
Dein Schwindel geht ja heute zugrunde! 305
Zornerfüllte Kräfte des Schattens
wurden beschworen, Aigisthos, Vögel
des Unheils eilen herbei, Dämonen
helfen mir, das Blut zu vergießen!
Ich soll ertränken verdorbenes Nest, 310
zerstörungsgeweiht ist deine Halle.
Lache, silberne Spitze, vor Freude!
Du wirst das Ende dieser Stadt
in wenigen Stunden fest besiegeln.
Du fragst noch, Mörder, was das soll, 315
was meine Höllenbeschwörung bedeutet?
Ihr werdet tot auf dem Boden liegen,
die Hure mit dir, der Hund mit ihr,
verbluten im Bande sicheren Todes.

Aigis. Mir fehlen die Worte!

Chor.                                      Elektra! 320

Elek. Die todesschwangere
Schneide wartet
auf Klytaimnestra!

Aigis. Genug! Ich soll dich gleich erschlagen,
wenn du mit tollen Reden die Ehre 325
dieses Hofs, Verdammte, verletzt!
Versöhne dich mit deiner Mutter
oder verlasse die Stadt Mykene.
Tu es bis zur kommenden Sonne!
Du willst verwegen sein wie Männer? 330
Du wirst also wie Männer sterben.
Beschlossen ist es, die Wahl ist dein.

Elek. Das ist mir völlig egal, Betrüger.
Der Richterspruch kam nicht von mir:
Apollo hat deinen Tod beschlossen! 335

Aigis. Schwachsinn!

Chor.                          Ist es wahr, Elektra?

Elek. Den Tod hat das Orakel beschlossen.
Ich werde meine Pflicht erfüllen,
natürlich, ich achte alle Götter.

Aigis. Dass Weiber nimmer Weises sagen, 340
ist als Spruch bekannt wie wahr.
Dass je ein Weib es aber wagte,
der Götter Namen so zu schänden,
ist weder Alten noch Jungen bekannt.

Chor. Elektra! Was du sagst, ist schlimm. 345
Wer Gottes Wort zum Lügen gebraucht,
gehört begraben. Lügst du gerade?
Ist das vielleicht ein Spaß von dir?
Wenn du gestehst, wird dir verziehen.
Du willst lebendig begraben werden? 350

Aigis. Sprich, Elektra!

Chor.                            Sage die Wahrheit!

Elek. Ihr Greisen, ein höllisch Todesfeuer
soll mein Leben gleich zerschlagen,
die Erde beben und mich verschlingen.
Lasst die Woge des Styx mich ertränken, 355
wenn ich nicht die Wahrheit sage!
Phoibos sei beschworen als Zeuge:
Seht, ob der Gott mir widerspricht,
ob kein Orakel den Mord befiehlt!

Chor. O schwerer Auftrag! 360
Hab Acht, mein König,
geh weg von hinnen.
Agamemnons Tochter,
bedenk deine Tat.

Elek. Beschlossene Sache.

Chor.                                     Handle, König! 365

Aigis. Wenn dies ein Gott befohlen hat,
sei dieses deines Gottes Ende!
Du bist verbannt, Elektra, gehe,
verlasse diese Stadt bis morgen.
Du wirst dich nicht bewegen, Hündin? 370
Du bist verhaftet! Wächter, erscheint!
Wo sind die Wächter dieses Hofes?
Mir bangt um mich und meine Gattin. (ab.)

Chor. Willst du die Mutter morden?

Elek. Ihr Greisen, 375
der Phoibos
befiehlt es!
Achtet Apollo!
Wer verzeiht
Verurteilten? 380
Mein Vater
wird gerächt!
Wer verrät
seine Toten?
Mein Vater 385
beschwor mich
zur Rache.
Apollo auch! (ab.)

Chor. Wir müssen Elektra retten!
Sie wird zugrunde gerichtet, 390
wenn wir nicht handeln. Bereitet
die Mittel der Götterbeschwörung!
Erschein, olympischer Geist,
die Priester rufen dich an.
Im Namen des Vaters, erschein! 395

APOLLO tritt ein.

Apol. Was soll das? Wer ist das Schwein?
Wer ruft mich vom Schlachtfeld an?
Ein Krieg ist in Helas entfacht
und Hass und Neid und Verachtung
walten in Sterblicher Städten, 400
und Blut und Hunger im Wechsel,
Kein Schiffer, den Mann im Sturm
zu retten. Ich muss mich beeilen!
Was wollt ihr, Priester Mykenes?
Was soll das ganze Theater? 405
Da bin ich, Apollo vor euch!

Chor. Also, Phoibos, was soll das heißen?
Elektra soll Klytaimnestra töten?

Apol. Ihr habt doch Agamemnon vernommen!
In letzter Stunde erflehte er Hilfe 410
und Hilfe darf ich nicht verweigern.
Elektra wird ihren Vater rächen.

Chor. Hör mal zu: Die Tochter soll töten
die eigene Mutter? Schwachsinn, oder?
Ist dir egal das Gesetz vom Olymp? 415
Ein Kind soll seine Eltern ehren!

Apol. Drum rächt Elektra den Vater.

Chor. Was für ein Blödsinn ist das?
Du stillst den Zorn des Menschen
indem du Götter verärgerst? 420
Wenn du den Mord befiehlst,
zerstörst du dich und Olymp!
Du willst dich so degradieren?

Apol. Der Mord wird Elektra retten!

Chor. Apollo! Die Folgen deines Fehlers 425
sind unberechenbar für die Welt
und auch für dich. Du wirst bestraft,
indem du sterblich wirst und stirbst.

Apol. Ha! Ihr wollt ja glauben,
Schicksal kann mich treffen? 430
Das Schicksal bin ich selbst!

Chor. Das wird sich zeigen, Phoibos!

Apol. Ich zeig euch, wo der Hammer hängt.
Erschein, Elektra, Apollo ruft.

Chor. Elektra schläft. Erwecke sie nicht! 435

Apol. Sei beschworen, Geist, vom Traum!

ELEKTRA tritt ein.

Elek. Wer ruft mich? Ich bin verwirrt.

Apol. Erkennst du mich?

Elek.                               Befiehl! Ich folge!

Apol. Weißt du meine Worte noch?

Elek. Die Mutter soll ich töten.

Apol.                                         Versprochen? 440

Elek. Sei nicht blöd!

Apol.                         Ist es Gelaber?

Elek. Am Mittag stirbt sie!

Apol.                                  Wirst du schwören?

Elek. Ich habe die Faxen dicke von Huren!

Apol. Der Gott bewundert dein Wort
und du wirst bald zum Star. 445
Du darfst kein Mitleid zeigen!
Wenn du mein Wort nicht hältst,
Elektra, dann war’s das mit dir,
du beißt ins Gras, verstanden?
Mach dich auf, beeil dich! 450

Elek. Du wirst nicht lange warten,
bald ist die Arbeit erledigt. (ab.)

Chor. Gehe nicht, Elektra!

Apol.                                  Lasst sie!

Chor. Wird dieses Verbrechen nicht bestraft?

Apol. Wenn ihr versucht zu intervenieren, 455
Priester, dann seid ihr morgen tot.
Ich muss aber los, die Krieger warten! (ab.)


STASIMON

CHOR.

Chor. In Hellas wuchsen holdeste Blumen,
die boten olympisches Glück uns dar.
So zart und klein von Göttern besungen, 460
sie zierten einst den Wald und den Bach.
So wehrlos standen Opfer des Pflückers,
kein Gott gewährte Bestand und Schutz.
Der Berg erzog die Rosen zur Blüte,
ein heller Himmel beglückte den Hain. 465
Apollo lief in den Fluren und sang
Gedichte melodischer Weisen, die schönen.
Doch weh, ihr Musen des frohen Schaffens,
ein Sterblicher reichte nimmer sich selbst!
Was klagte der Mund zum Himmel dereinst, 470
des Tollen Stimme, den Hindenburg rief?
Die Welt offenbarte dem Gotte das Elend,
Und Hitler, zum Zornesführer geworden,
erkannte das Lied, verfluchte die Zeit.
Sich lang über Landes Los ergrimmend, 475
bestrafte er durch Orakels Beschluss
Gerechte, Götter mit Taten des Trotzes.
Was weinen und klagen, Mykenes Männer?
Der Waffen Gewalt ist im Hades vergeblich.
Sein Herrschergeschlecht erhob unser Schicksal 480
und Schicksal wird nun Deutschland zerschlagen.
Du ziehest, Richter, dein strafendes Schwert?
Nicht lässet sich ändern des Führers Befehl.
Betrachtet, Bürger, die Pein eurer Heimat
und schweigt, dass Gott euren Stolz erspare. 485


EPEISODION

KLYTAIMNESTRA.

Kly. Hab ich richtig gehört, Elektra,
was du dem König vorgetragen?
Beschlossen ward also mein Tod!
Apollo plagte mich seit Langem,
ich nehme gern seine Strafe an. 490
Doch sage mir, Zerstörer, warum
du hast in Hellas Elektra erwählt!
Fehlt es an starken Mörderhänden?
Sammle alle tapferen Krieger,
sende böse Boten, Giftmischer, 495
kein Erbarmen erweise du mir!
Ich will vergehen im Hadesfeuer,
ertrinken im todestiefen Schlund.
Nicht ein einzig Auge wird wissen,
Klytaimnestra sei jemals gewesen. 500
Verhänge mir gleich diese Strafe,
wohl verdient und erbeten sogar!
Allein erspare, gewähr einer Mutter
letzte Bitte, Elektra die Schande!
Bei giftigen Ottern gar und Löwen, 505
beim Scheusal ward es oft gesehen,
dass Teufel ihre Mütter achten.
Muss die eigene Tochter mich töten?
Ich schließe die Augen, will vergessen
mein Los und nur des Todes denken. 510
Doch je mehr ich drücke die Augen
gegen die tränende Seele und fliehe,
meide das Licht, die Stadt, die Welt,
je mehr erscheint mir dies Gespenst
der eigenen Tochter, blutbefleckt, 515
den Dolch, den Tod in meinem Leib,
und wie sie rast und rennt und lacht
und plötzlich weint und sucht den Gott
vergeblich, dem Todeswahn ergeben.
Ist die Würde der Mutter nicht mehr? 520
Höret mich, ihr Ohren der Stille,
hört die Klage meines Schicksals,
Steine, die ihr mich liebtet mehr
als irgend sterblich Herz in Hellas.
Beweint mit meinen Augen Elektras 525
verlorenes Leben – umsonst seufzte
die Mutter, Pein und Schande geweiht.
So wenig genügt es deinem Hass,
Apollo, einst genommen zu haben
mir Iphigenie, die ältere Tochter, 530
von Vaters Hand als Opfer erschlagen?
Soll auch Elektra zugrunde gehen,
mir zur Mörderin werden? O nein,
du irrst gewaltig, wenn du wähnst,
die treue Mutter erlaube dir reglos, 535
meine Tochter zugrunde zu richten.
Aus eigener Hand ich beende mein Leben,
Elektra vor deinem Fluche zu retten!
Schon wartet dieser Dolch auf den Schlag,
ich zögere nicht, mein Kind zu befreien! 540
Betrachte, Agamemnon, die Krönung
deines Werkes! Die Wogen des Schreckens
haben das Herz deines Hauses erreicht.
Der Hades tagt nun in deiner Halle
wieder, gleich dem blutigen Tage, 545
da du betreten hast diese Treppe,
die Tochter tot in deinen Armen,
das durstige Messer Elektra suchend,
vereitelt durch des Aigisthos Schlag!
Vom Hades willst du noch bereiten 550
deines Kindes Verderbnis und Tod?
Was sprech ich doch allein mit Schatten?
Mein Sinn ist so verwirrt und geblendet.
Wenn nur Orestes zurück erschiene,
teurer Held, der Schwester zu Hilfe 555
durch guten Rat. Doch halt, ich höre,
jemand naht. Wer ist das? Elektra?

AIGISTHOS tritt ein.

Aigis. Beeile dich und flieh!
Elektra will dich töten,
renne, rette dein Leben! 560

Kly. Beleidige meine Tochter nicht!
Ich kenne den Adel meines Geschlechts
und kann die Lüge nicht mehr hören.
Es ist noch wert in meinem Hause
Anstand: Elektra verdient Respekt. 565
Achte mein Kind, erzieh deine Zunge!

Aigis. Die Tolle rennt und wütet,
trachtet nach deinem Leben!
Höre um Himmels willen:
Renne, Geliebte, schneller 570
denn olympische Spieler
und rette dich vor Elektra.

Kly. Vor meiner eigenen Tochter soll ich fliehen?
Quäle mich nicht weiter mit solchen Gedanken.
Schon empörte Verleumdung geduldige Richter! 575
Drum schone meine Tochter mit üblem Gerede,
schmähe, König, die Trauer der Edlen nicht.
Elektras Wüten wird sich bald beruhigen!

Aigis. Es wartet schon ein Pferd auf dem Feld,
verlasse das Haus, sie zaudert nicht. 580

Kly. Die Flucht als Preis des Lebens?
Ich will am liebsten sterben!

Aigis. Schweig! Ich weiß,
dein Herz ist gut
und liebt die Wahrheit. 585
Du glaubst mir nicht?
Ich glaubte es nicht,
als Elektra sprach:
Doch frage die Greisen,
erfahre du selbst, 590
ob ich mich irre.
Elektra versprach:
Am Mittag stirbst du!

Chor. Beeile dich, Königin,
fliehe, verschwinde! 595

Kly. Verschwörung! Ist es eure Absicht,
Mutter gegen Tochter zu stimmen?
Erbarmet euch und schweiget lieber,
wenn ihr nichts Weises sagen könnt.
Ein flüchtig Wort, in Wut gesprochen, 600
soll das des Weisen Gemüt erschüttern?
Was ihr vernommen, vernahm ich auch:
Ertragen hat der Gute Schlimmeres.
Soll die Mutter nicht Mutter sein?
Mich heißt Natur die Kinder lieben. 605
Heißt ihr mich, die Tochter meiden?
Genug, ich will Betrug verbieten!
Lasst mich allein den Mord erleiden.
Ich werde euren Bürgern beweisen,
was Mutterliebe auf Erden vermag, 610
dass nicht ein Teufel wieder wage,
Tochter gegen Mutter zu stimmen.

Chor. Der Gott beschloss es! Willst du sterben?
Stell dich nicht so an und verschwinde!

Aigis. Höre beim Zeus den Befehl! 615
Elektra ist außer sich.

Kly. Es gibt ja viele Götter
und einer wird sich erbarmen:
Ich bedarf keines Mitleids,
denn Mutterliebe genügt mir. 620
Ich brauche keine Tränen
Und teile mit euch Geheimnis:
Bevor Elektra mich tötet,
stoße ich diese Klinge
tief in mein Herz hinein! 625

Chor. Gütige Himmel!

Aigis.                            Gib die Waffe her!
Du willst die Hand an dich legen,
ein Übel verhindern durch ein größeres?

Kly. Zweimal stirbt, wer vom eigenen Blut erschlagen!

Aigis. Nicht sterben du sollst, du sollst den Hof verlassen! 630

Kly. Ich kann Elektra nicht verlassen, begreif es!

Aigis. Das Leben will die Verwegene lieber opfern?

Kly. Das Leben ohne Liebe nenn ich Schande!

Aigis. Schande nenn ich, das eigene Leben zu nehmen!

Kly. Das Kind vor größerer Schande nur zu retten! 635

Aigis. Indem du Gotteszorn auf dich entfachst!

Kly. Des Phoibos Zorn und Fluch ertrag ich schon.
Erbarme dich, König, vor verlassenen Müttern!
Ich wollte fragen die Weisen um Rat und Bestand.
Ich wollte wissen, wie der Rechte gehandelt, 640
dem ein ähnliches Los geschlagen hätte.
Doch nicht gefunden ward in Hellas Weiser,
noch nie gesehen ward ein Los wie meins.
Himmel und Hölle vernehmen ganz verwirrt
das Maß der vielen Martern, mit denen Phoibos 645
liebende Mutter, die ewig Leidende heimsucht.
Flucht vor solchem Gotte hältst du für möglich?
Zeige mir den Ort, da Phoibos nicht waltet,
da Schicksal mich nicht finden kann und schlagen,
verfolgen, bis die Mutter dem Ende weicht. 650
Wenn solch ein Richter deinen Tod beschließt,
da hilft dir nicht ein Pferd und nicht ein Bote,
nicht olympische Renner dich retten vor Fluch.

Aigis. Wie kann ich Kokolores vernehmen?
Kennst du den Himmel, weißt du wirklich, 655
welche Kräfte sich regen, wenn Tränen
steigen empor zu Göttern? Kennst du,
Mutter, das Maß olympischer Wunder?
Weißt du, was Geister bewirken mögen,
den Mann in Not, den Armen zu schützen? 660
Sei bescheiden, lasst uns gemeinsam
Olymp um Hilfe bitten! Vertraue!

Kly. Du willst mir helfen? Aber wie?
Apollo soll vor Menschen weichen?
Welcher Gott wird mich beschützen, 665
die den Mord des Gatten plante?

Aigis. Der den Muttermord nicht liebt!

Chor. Du solltest hoffen, groß ist der Himmel!

Aigis. Hört den Schrei, es ist Elektra.
Verstecke dich! Ich halte sie auf. 670

Kly. Nein, ich bitte, lass den Schatten
nahen, es ist bestimmt der Held,
der Mutter rettende Sohn. Orestes,
kläre deine Schwester auf!

Aigis. Was? Harrst du noch der Toten? 675

Kly. Tot? Was ist Orestes geschehen?

Aigis. Der tapfere Sohn ist gefallen!

Chor. Verdammnis!

Kly.                       Was hör ich?

Chor.                                              Ist es wahr?

Aigis. Wie? Ihr habt den Boten
nicht gesehen? Er kam 680
zu melden, arme Stadt,
das Ende der Hoffnung.

Kly. Der Kampf ist verloren,
der Held ist gefallen.

Aigis. Ein Feindespfeil erreichte 685
am Herzen verwundbare Stelle
und färbte attische Fluren
mit Blut, mit Tod und Grausen.

Kly. Weh, o wehe,
dies zu hören. 690

Chor. Wer hat den Tod befohlen?

Kly. Ruft Elektra hierher!
Ich muss ihr offenbaren
das Los des toten Bruders.
Schicksal besänftigt jeden. 695

Aigis. Du bist von Sinnen!
Ich sterbe vor Sorge.
Fliehe! Die Tochter
hab ich verbannt.

Kly. Was hast du gewagt?

Aigis.                                  Sie hat uns verlassen! 700
Bann oder Sühne: Sie hatte die Wahl.

Chor. Hört den Schrei.

Aigis.                           Beim Zeus, sie ist es.

Kly. Elektra, erscheine!

Aigis. Wo sind die Wächter?

Chor. Nun betrachtet Elektras Beschluss.
Seht, die rasende Tochter naht. 705

ELEKTRA tritt ein.

Elek. Verfluchte!

Kly.                     Was ist mit dir?

Chor.                                                Halt!

Aigis. Schluss mit lustig, Mädel,
gib her die silberne Klinge,
versöhne dich mit der Mutter!
Beweise dein wahres Herz 710
und handle dem Adel gemäß.

Elek. Zuerst muss die Hure verschwinden,
die Fotze, die Feinde fickt.

Chor. Höre die neue Kunde!

Aigis. Sie wird dich Achtung lehren! 715

Kly. Welches Unheil, Elektra!

Elek. Was ist Orestes passiert?

Kly. Zügel den Zorn und höre,
wo Kinderkram nun endet.
Orestes ist gefallen! 720
Athen hat ihn dir genommen,
der Gott, dem du folgen willst.
Empört dich Apollos Beschluss?
Dann lass uns deine Schwester
beweinen, die ähnlich starb! 725
Wäre dein Vater am Leben,
wärest auch du verloren.

Elek. Ich wusste schon!
Mein Vorgefühl
betrog mich nicht. 730
Ich muss allein
Mykene retten.
Schwere Trübsal
prüft die Pflicht!
Mit einem Messer 735
beide rächen.
Den Hof erschlagen
mit einem Messer.
Was ist geschehen?
Orestes ist tot? 740

Kly. Vor Toren Athens
am Herzen getroffen!

Elek. Wen wollt ihr mit dem Gelaber betrügen?
Ich weiß, wer dieses Mordes schuldig!

Kly. Ich bin ein Mensch, vergiss es nicht. 745
Du liebtest einen, den ich gebar!

Elek. Genügt es nicht, den Vater zu morden?
Hat auch der Bruder dies Los verdient?

Kly. Du liebst den Bruder mehr als die Mutter!

Elek. Eine Schlange hat mich geboren! 750

Kly. Sie hat dein Leben vorm Löwen gerettet!

Elek. Gegen göttliches Recht verstoßen!

Kly. Mein Gott heißt meine Kinder lieben.

Elek. Den Gatten morden, den Mörder freien.

Kly. Verzeih, ich bitte, meine Taten! 755

Elek. Verzeihen soll der Hades dir!

Kly. Und dir die Mutter aller Götter!

Elek. Behalte für dich das Theater,
Du kannst mich nicht verführen.
Ich kann dich nicht ertragen! 760

Aigis. Ein schlimmer Brauch es ist geworden,
ein jeglich Urteil schnell zu fällen.
Wisse erst, wie dein Bruder starb
und richte dann, wer schuld und rein.

Chor. Seit der Krieg begonnen, 765
läuft ein jeder bewaffnet
und Bruder gegen Bruder.
Jeder zog in die Schlacht
und früh bewirkte Wunder.
Burgen wurden belagert 770
und starke Städte erobert.
Aber der Himmel beschloss
in Hellas endlosen Krieg.
Ruinen breiten sich aus
im unbewohnbaren Lande. 775
Jeder Nachbar ist Feind
und Feinde töten jeden,
den nur das Auge sieht.

Aigis. Nun zählt Orestes
zu Hellas’ Ruinen. 780
Leichen und Trümmer
bedecken das Los
mykenischer Ehre,
vom Pfeil getroffen,
tot, ohne Grab. 785

Elek. Ein Pfeil genügt, Orestes zu töten?
Nur in deinen komischen Liedern,
Hund, ist möglich solch Ereignis!

Aigis. Ich bin dein König, nicht dein Hund!

Elek. Ein Schurke hat mir nichts zu sagen. 790

Aigis. Versöhne dich mit deiner Mutter!

Elek. Mit Huren verkehrt ein Edler nicht.

Aigis. Was machst du noch am Hof, Verdammte?

Elek. Ha! Der Bandit will seine Stille?
Das kannst du ganz vergessen, ja? 795
Ich soll euch jetzt in Ruhe lassen,
da die Stunde der Rache schlägt?
Macht euch nicht so lächerlich, bitte,
habt ein bisschen Spaß an dem Tod!

Aigis. Genug, du bist verbannt! 800
Du hattest die Wahl, Elektra,
und hast Verderben gewählt.
Die Reue schätzest du nicht,
du trachtest nur nach Tod.
Verlasse sofort diese Stadt. 805
Tu es, bevor ich dich töte!

Kly. Lasse mein Kind in Ruhe!
Sie ehrt ihren Vater nur.

Aigis. Nein, Geliebte!

Kly.                            Elektra, höre!

Elek. Sprich mich nicht an, du Hündin! 810

Chor. Besser ist es, ziellos zu irren,
Als zu irren am schändlichen Ziel.

Kly. Hier mein Dolch, ich erspare der Tochter
Arbeit, ich nehme mir selbst das Leben!

Elek. Warte, Mutter! Bewahre dein Leben, 815
gehe noch nicht ins Totenreich.
Der letzte Schlag gehört Apollo!
(sticht Klytaimnestra)

Kly. Himmel, steht mir bei! Ich sterbe!

Chor. Muttermord!

Aigis.                       Klytaimnestra!

Kly.                                                Aigisthos!

Chor. Elektra! Was hast du getan?

Elek.                                              Seht! 820

Kly. Elektra, du hast die Mutter geschlagen!
Wer hast du getan, Elektra? (stirbt)

Aigis. Warte, Geliebte!

Elek.                          Die Hure ist tot!
Mit Blut erfüllt sich Elektras Schwur.
Verfluchte, stirb! Erkennst du mich? 825
Mache dich auf zu dem Tor des Hades,
die Totenscharen, Löwen zu treffen!
Ertrink im grauen Leidesfluss!
Mein Vater sieht ein teures Opfer
und weiß: Sein Tod ist nun gerächt! 830
Apollo preist den schönsten Mord:
den Tod willkommen wie noch nie.



Elektra






STASIMON. KOMMOS.

CHOR. APOLLO.

Chor. Betrachtet, Bürger Mykenes, das Elend der Stadt
und seht, was ihr ein einziges Wort bereitet.
Sterbliche richten Sterblicher Missetaten, 835
kein Schlag, ob richtig oder weise, das Los.
Nicht ein Degen ersticht unsterblichen Zufall,
sobald er einem der Götter Befehl erteilt:
An Leid und Heil ist doch ein jeglicher schuld.
Was bitten nun den Führer, Reine zu sparen? 840
Vor Menschen, welche sich doch wacker erwehren,
gen Norden und Süden toben und tun und töten,
sollte der Gott des Krieges Mitleid haben?
Vergesst ihr, wessen Herr der Diktator sei?
Die Blumen beweint er nur, die wehrlosen nur. 845
Was euch eine Rose ist, Apollo ein Sterblicher:
Pflückt ihr eure Blumen nicht nach Belieben?
So nimmt das böse Reich eines jeglichen Leben,
den andren erspart; und wer den Tod verdient,
das fragte der Deutschen Herrscher allzu spät, 850
wie auch der Finger des Pflückers niemals fragte,
welche der toten Blumen das Leben verdiente.
Der Rosen höchstes Übel ist immer ein Dorn,
ein Wort alleine der Menschen höchstes Gut.
Vor Hellas dünkt euch göttliches Mitleid recht? 855
Wer einst ein Recht verletzte, bricht es erneut.
Was Besseres wollt ihr ewigen Göttern zeigen?
Was der Tyrann nicht erreichte, erzielt kein Mann.
O Greise und Priester, gebt eure Hoffnung auf,
dass Eintracht walten soll, vergesst euer Glück. 860
Entzaubert sind, ihr seht, olympische Rätsel,
vergeblich gegen Schicksal des Ritters Schwert.

Apol. Lasst die Heere der Geisteszerstörer wüten –
nicht dem Führer widersetzt sich ein Gott.
Mein Wille währt beständig, größer denn Zeus. 865
Ich will Hellenen zu Trägern des Hasses machen,
Vernichtung, endlos-maßlos, erheischt mein Sinn.
Bewahrt in diesem Kampfe das Heil meiner Ehre,
erhebt euer Schwert, erschlagt, den bloß ihr seht!
Das Reich und euer Himmel verlangen nach Blut: 870
Zersetzende Hand darf Tag und Nacht nicht ruhen,
Bis denn der Feind, der letzte falle, ich siege.

Chor. Betrachtet, Greise Mykenes, das Elend des Reiches
und seht, was ihm des Führers Worte bereiten.

Apol. Einsam der letzte eurer Elenden wandere 875
durch öde Wüsten, Schlangennester beschreite,
bezeuge das Los einer üblen, wertlosen Brut,
von Zeus im Rausche seines Grausens erschaffen.
Hört das Gebot und lasset das Feuer sprechen:
Nicht ein Stein bekunde einst den Hellenen, 880
dass je ein Fremder irrte durch dieses Land.
Ihr seid verdammt vom ersten Augenblick an!
Verbrechen soll euch und eure Hoffnung tilgen.

Chor. Betrachtet, Priester Mykenes, das Elend der Stadt
und seht, was ihr der endlose Krieg bereitet. 885

Apol. Schnell vernichtet diese Welt und verschwindet,
ein peinlich Erscheinen beleidigt nur die Sonne.
Angst und Schrecken sollen jeden beschleichen,
zwischen den Nachbarn Hass und Tod bestehen!
Füllt mit Blut die Fluren, unzähligen Leichen, 890
göttlichen Missgeburten versagter Vernunft.
Entfalte dich, Wahnsinn, ohne Rand und Band,
Verkannt sei aller Sinn für Recht und Gerechtes:
Des Menschen elend Schicksal komme zutage,
dass ich die Welt ohne Mitleid erlöschen könne. 895

Chor. Betrachtet, Weise Mykenes, das Elend der Stadt
und seht, was Adolf Hitler dem Staate bereitet.


EPEISODION

ELEKTRA. AIGISTHOS.

Elek. Jetzt ist Aigisthos dran!
Hast du noch was zu sagen?
Sprich, Mafioso, ich höre! 900

Aigis. Du hörst? Ein Bote kommt
vom Hades, um dich zu fangen,
dich in Flammen zu werfen.
Du bist verloren, Elektra!
Du hörst? Ich kenne die Rätsel 905
der Hölle! Seit meiner Jugend
lehrten mich Wüstenpriester
die Wahrheit, greise Seher.
Kein Schiffer führt im Feuer
Verdammte zum Himmelstor. 910
Da trinken sie von der Lethe,
dass sie des Glückes entsagen.

Elek. Du gehst in den Himmel hinein?
Als Mörder nennst du dich rein?
Einer der Eltern ist unten. 915
Wenn ich die Mutter treffe,
die Herrin vom Puff, perfekt:
Die Pornobrünette verdient es!
Noch schöner dennoch, den Vater
zu sehen, zusammen zu wandern 920
die Hölle hindurch, für immer.

Aigis. Zu spät, die Zicke zu spielen:
Willst du leben, verschwinde!
Dein Mord wird nicht geduldet,
das ging zu weit, nicht wahr? 925

Elek. Der nächste bist du, Bandit!
Doch wer ist da? Der Pluto,
des Hades Bote, der kommt,
um mich in die Woge zu werfen?
Ein solches Schattengespenst 930
kann nicht lebendig sein.
Wer bist du, Bote? Beim Zeus,
verkünde, woher du kommst,
um wen mit Ketten zu fangen!

Aigis. Es dünkt mich, jemand naht. 935
Wer ist da, wer bist du?

Chor. Der Pluto?

Aigis.                   Wächter!

Elek.                                    Der Schatten!

Aigis.                                                           Wer?

ORESTES tritt ein.

Orest. Dein Tod!
(sticht Aigisthos)

Elek.                             Orestes!

Chor.                                           Tödliches Wunder!

Aigis. Wächter!

Orest.                  Erflehst du Hilfe?
Hier der Führer des Landes! 940

Aigis. Und hier dein Schwert, Tyrann!
(sticht Orestes)

Chor. Tödliche Wunde!

Elek.                             Orestes, du blutest!

Orest. Beruhigt seid, ihr rechten Männer der Stadt,
der falsche König wird in Kürze verstummen.
Orestes stirbt allein nach längerem Kampf, 945
Mykenes wahrer Herrscher steigt in den Himmel.
Der Höllenvogel gibt sich Mühe zu glauben,
dass seine Hand das Los zu tilgen vermag?
Betrachtet tief in meinem Herzen die Wunde,
die seit dem Morgen mich richtet zugrunde! 950
Deiner, König, nur ein kleinerer Schlag!
Du hast in deinem Worte Wahrheit gesprochen:
Ein gottverwünschter Pfeil erreichte Orestes,
als meine Kämpfer Heldentaten bewirkten,
im Berg des Feindes arge Burgen bestraften. 955
Es war jedoch der Pfeil des Tapferen nicht,
der meinen Leib und treues Leben vernichtet.
Mykene schickte nach Athen den Betrüger,
aus diesem Hause kam der Auftrag des Mordes!
Verrat, dem Hehren nicht gebührender Tod, 960
erschleicht in Wort und Tat des Mutigen Leben,
zerstört der Besten Band, im Himmel gefestigt,
den Guten scheut, Tyrannen bringt auf den Thron.
Im wunden Herzen bleibt ein äußerstes Ziel:
Mit hartem Schlage Giftes Mischer zu morden! 965
Schon hatt ich mich im Todesschlafe verloren
als bloßen Staub, von Gott und Männern beweint.
Der armen Schwester dennoch jammert ich mich,
des Schmerzes Opfer, endlos seufzend in Pein –
und Wut, Empörung, Zorn erweckte den Körper! 970
Ein übergöttlich Leid, im Himmel verkannt,
ergriff den allerletzten Atem des Schwachen,
erhob aus Wundertat Orestes vom Boden,
für Gott die allererste Pflicht zu erfüllen.
Die weite Wüste, Berg und Täler bezwang ich, 975
stützte mich voll und ganz auf kräftigen Stab
und schlich wie Schlange Sand und Steine hindurch.
Als Freunde fand ich fromme Hirten zu Hilfe:
Es waltet Achtung, Ruhm in hellenischen Hütten.
Und alte Feinde gar, ich schwöre beim Zeus, 980
In solchem Weh mich sehend, reichten die Hand
und machten frei den Weg und sagten einander:
– Befreit den hehren Fuß! Orestes ist er,
Mykenes Letzter geht, den Vater zu rächen,
nachdem Orakel ihm erteilt den Befehl. – 985
Erkenne, Vater, hier das Blut meiner Rache!
Mit letzter Kraft dem Gottesspruche zu folgen,
erschlägt die Klinge deinen Feind und Verräter.
Mein Schwert gehorchte gerne Phoibos’ Beschluss!
Mein Schwur ist nun erfüllt, Elektra, siehe, 990
dass nicht ein zweites Mal du mögest klagen,
Orestes habe einst dein Leiden vergessen. (stirbt.)

Elek. Höre, Held, Verzeihung!
Ich hab an dir gezweifelt,
die dumme Kuh, die Bestrafung 995
verdient für falsche Treue.
Dein Schwert hat nun bewiesen,
was wahrer Schwur bedeutet.
Siehe, vernimm meine Schmerzen.
Was liegst du leblos schauend? 1000
Orestes, führe dein Volk
und grüße deine Bürger!
Du bist so weit gekommen,
Bezwinger aller Berge,
in Höllenwüsten dürstend, 1005
heimlos auf alten Trümmern
von Burgen schweren Schrittes
wandernd, kämpfend mit Löwen
und Ottern – so weit gekommen,
um nun zu entsagen des Lebens? 1010
Ihr Greisen! Orestes! Tot?
Ich bin verwirrt. Wohin
mich wenden? War es richtig,
Priester, die Mutter zu töten?

Aigis. Elektra!

Elek.                Mach dich vom Acker! 1015

Aigis. Der Feind wird Mutterblut
an deiner Hand erwischen.

Elek. Auch deines wird er finden!

Aigis. Verschone, Kind, deine Hand,
Orestes hat es vollbracht. 1020
In meinem Herzen wütet
tief und sicher der Tod.
Ein Gift, vom Zeus verdammt,
beschwört mir endlos Leid:
Seht, mein Ende ist nah! 1025
Dies alte Haus ist vorbei,
verlasst Mykene, Gerechte!
Die Feinde zaudern nicht,
den Mord mit Blut zu rächen.
Was zögerst du, Elektra? 1030

Elek. Wo bleibt Orestes?

Aigis.                               Sie ist wahnsinning.

Elek. Was hat Orakel befohlen?
Das ist doch Schlamperei,
das treue Herz zu verarschen.
Ist dieser wirklich Phoibos, 1035
Vater, Schirm den Schwachen?
Ich bin Krönung des Schwindels?
Ach, ich erkenne mich wohl!
Apollo schwelgt in der Schande
und legte uns alle herein, 1040
der Gauner, Vogel des Unheils.
Ich will ohne Grab verwesen!
Mein Mord ist nicht zu verzeihen.
Ich habe zu schnell gehandelt.
Die Woge soll mich verschlingen, 1045
ich soll ertrinken in Flammen?
O Klinge, nun finde Gebrauch,
Zerreiß meinen Kopf und Bauch!

Chor. Höre des Königs Befehl und gehorche!
Verliere keine Zeit, verschwinde, 1050
du sollst durch Wüsten, Wälder irren.
Kein Auge darf dich noch erblicken,
eh den olympischen Berg du erreichst
und göttlich Erbarmen erfahren mögest,
da Menschen nicht verzeihen dein Wagnis. 1055
Geh von hinnen, befolge mein Wort!
Dem Phoibos willst du mehr gefallen?
Eile zum Berg, da dich die Götter
erwarten, die Gut und Bös erkennen.
Den schwersten Weg du hast vor dir, 1060
dein Mord empörte Mensch und Geister.
Scharen höllischer Wesen versuchen
eifrig, dein bös Gewissen zu beißen.
Schnell durch die Öde laufe, renne
und bete zum Himmel, verlorene Seele! 1065

Elek. Ich renne, Priester, betet für mich! (ab.)

Aigis. Bürger, geleitet Elektra!
Wartet aber, ihr Greisen,
ein letztes Wort zu hören.
Richtet mit mir mein Leben, 1070
dass ich gerechtes Urteil
nun fälle, denn mein Gewissen,
früher rein, ist betrübt.
Höre, Hades, die Klage!
War es dem König erlaubt, 1075
Iphigenie einst zu morden?
Bist du gerecht, Agamemnon?
Kein Weiser hätte gerettet
dich und Mykene zusammen.
Ich wurde zu töten gezwungen: 1080
Bekundet, Greise, mein Übel!


STASIMON

CHOR.

Chor. Zu spät erobern Tränen den Menschen,
der einst überhörte weinend Gewissen.
Unzählige Stimmen warnten Elektra,
kein Wort des guten Rates verschwieg. 1085
Sie klagt allein, von Reue geplagt,
und kein Orakel befreit sie von Pein.
Apollo aber erwartet das Schicksal.
Wer göttlich Gesetz verwegen bricht,
den Frevler soll Götterspruch bestrafen. 1090
Hast du vergessen, was du beim Styx,
dem Höllenfluss, Olymp geschworen?
Du wähntest dich wirklich unerreichbar?
Kein Sterblicher mag den Phoibos berühren,
doch trotzig ist die Tücke des Zufalls: 1095
Du bist am Ende, göttlicher Krieger!
Olymp hat nicht vergessen den Tag,
da du erschienst, Iphigenie zu rauben.
Gedenke deiner Geliebten, der Daphne,
des stillen Baums und Quelle des Lorbeers. 1100
Du findest Gefallen an grünen Kränzen,
die frisch dein stolzes Haupt verzieren?
Die Muse deiner Siege wird schwinden,
das Blatt, das jeder Blitz zerschlägt!
Verbreite, Phoibos, Fluch in die Seelen, 1105
erteile dein Gift aus Orakels Mund.
Dein Los ist schon besiegelt, Verräter!
Doch wer befreiet Elektra vom Tode?
Ich weiß nicht, Weise, ob Göttergewalt
errettet, wer Götterrechte gebrochen. 1110
Verstecke dich, Träne, hoffe zuerst!


EPEISODION

AIGISTHOS. APOLLO.

Aigis. Bekundet, Greise, mein Übel!
Ihr Krieger, helft Elektra
und sagt verlorener Tochter,
Aigisthos stirbt ohne Hass! 1115
Der Vater verzeiht ihre Tat.

Apol. Na! Das Arschloch zieht
den Schwanz und alles ein.
Hast du Angst, mein Lieber?
Guck mal an, der zittert. 1120

Aigis. Himmel, steht mir bei!
Apollo, bändige dich!

Chor. Siehe, Vernichter Mykenes,
der König zeigt seine Größe.
Hilf uns, Elektra zu schützen. 1125
Ein Wink deiner Hand genügt
und friedlich Elektra gelangt
ans Ziel, das Göttergericht.
Doch jemand kommt! Wer ist das?
Ein Bote, gesandt aus der Ferne? 1130
Versteckst du zwischen die Hände,
Fremder, dein tränend Antlitz?
Wer hat dich geschickt, woher,
was willst du verkünden? Sprich!

BOTE tritt ein.

Bote. Ist dies die Burg Agamemnons, 1135
verwüstet und leichenreich?

Aigis. Das ist sie, des Königs Mörder spricht.
Welch neues Leid, o Fremder, bringst du?

Bote. Die Priester und Krieger der Erde,
O Richter der Stadt, nicht wissen, 1140
Wie irgendein Aug’ noch sieht,
so tränenschwanger wie meines,
nicht fällt vom Antlitz gen Boden
wie roter Stein voller Scharten;
Wie irgend Sterblicher Mund 1145
sich füllt mit so viel Elend
und keinem Platz für die Worte.

Chor. Was ist geschehen? Sprich!

Aigis. Du wagst meines Elends zu spotten?
Du glaubst, mein Tod kann warten 1150
noch länger? Beile dich, Fremder!

Apol. Wo ist Elektra?

Chor.                          Wie weit ist sie?

Bote. So weit, dass sie bereits verwest!

Aigis. Verfluchter! Kommt, ihr Wächter,
belegt den Lügner mit Folter! 1155
Bist du von Sinnen, Barbar?

Chor. Du spottest unser, Gesandter!

Apol. Sage die Wahrheit!

Aigis.                                Ich höre!

Bote. O König und Priester Mykenes, ihr Bürger,
der freute sich kaum seines Lebens erneut, 1160
wes Auge das tödliche Unheil erlebte.
Wohin eure Tochter auch immer gelangte,
da machten sich Tapfere auf und Gerechte,
Die traurige Erbin zum Berg zu geleiten.
Als heiliges Heer in die Trümmer wir zogen, 1165
verstärkt von den Kräften der Kämpfer Mykenes.
Elektra, verwirrt aber tüchtig, nicht wankte,
und bald den olympischen Berg sie erkannte.
Doch plötzlich ein Rudel gigantischer Leuen,
vom Hades gesandt, unser Ziel zu vernichten, 1170
erschreckte die Hälfte der Männer, die flohen.
Die Bleibenden zogen das Schwert und den Bogen,
Erbitterte Schlachten wie Götter zu liefern.
Die höllischen Wesen sich stürzten auf uns:
Die Feuer bespeienden Augen entflammten 1175
das Feld und die Waffen der wackeren Helden.
Unsägliche Schreie der Opfer wir hörten!
Die Mähne bestand aus gewaltigen Schlangen,
erstickte Soldaten, verschlang ihre Zahl.
Die blutigen Zähne, so lang wie das Schwert, 1180
zerfleischten die Glieder der sterbenden Schar.
Mit schrecklichem Brüllen erbebte der Boden,
dass bebende Bögen verfehlten das Ziel.
Da mochte die Heldin nicht bändigen sich
und traf mit dem Pfeile das Herz eines Leuen. 1185
Es stürzten sich sämtliche wütend auf sie
und einen sie schlug nach dem anderen nieder.
Doch plötzlich, o Greise, sie warf ihre Waffen
und ließ sich am Boden von Leuen zerschlagen.
Den klagenden Männern gebot sie zu schweigen, 1190
verbot jenen Hehren, für Rettung zu streiten:
          Dies sei, sie sprach, Elektras Los.
          Begraben darf mich keine Hand!
          Elektra stirbt verdienten Tod.
Da weinten die Treuen vor Schmerz ohne Trost, 1195
erblickten das Opfer des Himmels zerfleischt.
Die Kämpfer sich beugten, Elektra zu ehren,
und hörten die letzten verhallenden Worte:
          Warum, Apollo, richtest du mich?

Aigis. Nicht weiter, du Großmaul, 1200
wer kann das ertragen?
Ihr Priester, wo seid ihr?
Das ist doch nicht wahr,
ich höre nicht richtig!

Apol. Elektra tot? Das kann nicht sein! 1205
Was gibt es noch zu berichten?

Bote. Ihr möchtet noch weiteres Übel vernehmen?
Die Wörter genügten den Leiden noch nie.
Die Daphne, die holde – ihr hattet vergessen?
Sie wurde vom Himmel gerettet, als Phoibos, 1210
der Lüsterne, sie zu entführen versuchte.
Sie wurde vom Gotte verwandelt in Baum,
des’ Lorbeer nun trägt der verliebte Apollo.
Die traurigen Augen, die meinigen, sahen,
wie Daphne in strahlender Blüte verstarb! 1215
Ein höllisches Feuer, von Göttern gesandt,
von niemandem jemals betrachteter Blitz
zerstörte von oben bis unten den Baum!
Es liefen die Hirten und Helden ihr zu!
Die Männer von Hellas, Barbaren sogar 1220
vernahmen die Klage der sterbenden Frau.
Die Blume, vom Phoibos für immer verehrt,
erflehte vergeblich der Geister Gehör:
Um Hilfe sie bat und verlassen sie starb.
Die weinenden Musen verfluchten die Götter, 1225
die trostlosen Götter die irrenden Menschen.
Der Tag im Olymp ist geworden zur Nacht!
Ein sehendes Auge, von Mensch oder Teufel,
erblickt in den finsteren Burgen kein Licht.
Und Kronos und Zeus, in der Finsternis Flut 1230
sie rangen, erfüllt mit gewaltigem Hass.
Der Hohen Bestand ich verstehe nicht mehr,
der ich einen sterbenden Gott vor mir sah!
Verdiente die Daphne den ehrlosen Tod?
O Treffliche, lasst uns beweinen den Baum, 1235
da währende Liebe nicht länger besteht.

Apol. Die Daphne ist tot? Unmöglich!
O nein, Gesandter, nicht weiter,
das kann nicht sein, nein, nein!

Chor. Du weinst vergeblich, lass die Träne. 1240
Du nahmst ja vielen einst die Liebsten
und hast zerbrochen heiligste Bande.
Dein Lorbeer ist dir verloren gegangen!

Apol. Was hat denn das zu bedeuten?
Mein göttlicher Sieg ist verloren? 1245
Ich soll als Sterblicher leben,
weil ich Iphigenie begehrte?
Nicht ich habe Hellas zerstört!

Bote. Das war, ihr Bürger, die Kunde.
Ich geh, eure Festung wird fallen. 1250
Des Feindes Heer ist schon nah. (ab.)

Chor. Was wird aus deinem Krieg, Apollo?
Deinetwegen geht Hellas zugrunde.
Du hast der Völker Recht verachtet,
Olymp und Hades zu Feinden gemacht. 1255
Du bereust Elektras Tod? Zu spät,
und bitte, töte dich nicht, verharre!

Apol. Ich weiß zu wohl, von welchem Phoibos
ihr redet dies Wort. Kriegsentfacher
ward der Hehre, der Blumen besang. 1260
Ich werde mich in Wüsten verstecken,
Menschengericht mich umsonst suchen,
mich, im Schweigen gerichtet, halbtot.
Warum befahl ich der Königin Mord?
Ich habe solches Unheil gestiftet? 1265
Hass verfolgt den einst Erhabenen,
Stille errettet nicht vor Fluch.
Ein trefflich Herz der Mutterliebe,
Klytaimnestra hab ich erschlagen?
Hellas liegt in Schutt und Asche: 1270
Nicht ewig lebt, der Bösem folgt.
Wer Einsicht hat, verlasse die Stadt
und irre seines Weges und schweige.
Orestes hab ich vernichtet? Elektra?
Mykenes Greise warnten vergeblich: 1275
Ich zahle sieglos lehrenden Preis.
Wie kann es sein, dass meine Worte
Treue zu Schande führten, zu Tode?
Doch der Reinen Ruine spricht für sich!
Betrachtet diese Toten, ihr Krieger 1280
aller Zeiten, erkennet das Ende
aller Hochmut. Der suchte nach Ehre,
der stürzte Mykene, Hellas in Unrecht.
Elend bezeugte des Führers Versagen!

EXODOS

AIGISTHOS. APOLLO.

Chor. Verachtung von Mitleid trennt das Los 1285
durch kleinen Schritt: Elektra im Hades!
Was wollen Mykenes Bürger noch klagen?
Es ist kein Trost, wo Schicksal waltet.

Aigis. Ich habe den König ermordet,
erleide mein Los ohne Klage. 1290
Doch wer wird rächen Elektra
als Vogelfraß verwesend?
Du hast die Edle verleitet,
Apollo, sie starb für dich.
Ich mache dich zum Bürger 1295
dieser Stadt: Drum höre!
Du wirst die Leiche begraben,
erfüllen, was du versprochen.
Du bist nicht länger Gott?
Benimm dich dann wie ein Mann! 1300

Chor. Der Weise leidet
Standhaft, ehrbar.
Gehorche, Phoibos,
begrab dein Opfer!

Apol. Keines eitlen Befehles bedarf ich! 1305

Aigis. Wes du bedarfst, ich will nicht sagen!

Apol. Ich gehe, die Schande des Seins zu meiden.

Aigis. Den Feigen bekunde dein Versagen!

Apol. Dass nimmer Glück und Frieden lebt,
Wo irgend ein Menschenkind sich regt. 1310

Aigis. Du sollst nicht Menschen verachten,
Du sollst meine Tochter begraben!

Apol. Die Sonne wird sich legen,
im Geist die Frage bleiben:
Den Morgen wirst du sehen? (ab.) 1315

Chor. Habt Acht, des Feindes Heer!

Aigis. Ihr Vögel, erscheint
und fresst mein Gewissen.
Was weint ihr, Männer?
Verschwindet sofort! 1320
Verzeihung, Olymp!
Mykene, Verzeihung! (stirbt.)

Chor. Ihr Feinde, ihr kommt zu spät!
Verlorene, geht eures Weges,
vergesst eure Siegesbeute. 1325
Belohnung wird nicht sein
und eure Hoffnung ist leer.
Die Menschen sind gegangen,
die Götter sind nicht mehr.




ENDE