Apollo an Daphne
© Gregorius Vatis Advena 2014, Record L 5, Engl. Apollo to Daphne, June 2008 to November 2014, Hamburg and Hampshire, dactylic hexameter, 1033 lines, lyric-epic poetry, German.
© Gregorius Vatis Advena 2014, Record L 5, Engl. Apollo to Daphne, June 2008 to November 2014, Hamburg and Hampshire, dactylic hexameter, 1033 lines, lyric-epic poetry, German.
Apollo verliebt sich und verfolgt die Nymphe Daphne. Sie erfleht göttlichen Beistand und wird in einen Lorbeerbaum verwandelt. Dieses Gedicht ist eine Bearbeitung der antiken Handlung. Die Verfolgung spielt im heutigen Hamburger Rotlichtmilieu. Apollo tritt als unerfahrener junger Mann auf.
Der erste Teil ist lyrisch-elegisch. Apollo beklagt seine unglückliche Liebe und wendet sich an Daphne, Musen wie menschliche Hörer. Der zweite Teil ist narrativ. Hier wird die konkrete »Verfolgung« der Nymphe erzählt. Durch die emotionelle Enttäuschung entwickelt sich allmählich Apollos Liebesverständnis.
Suite in E-Dur, HWV 430 - II. Allemande, Händel, gespielt von Stefano Ligoratti – Musopen CC BY-NC 3.0.
Der Vers ist hexametrisch – sechs Hebungen werden durch eine oder zwei unbetonte Silben, oder auch durch eine Zäsur voneinander getrennt. Generell beginnt der Vers mit einer Hebung und endet in einer bukolischen Diärese – dem Rhythmus TAtata-TAta. Dabei wird der antike Daktylus evoziert. Jeder Vers hat mindestens einen tonalen Daktylus. Der klassische Daktylus war aber quantitativ.
Von besonderen epischen Formen wird hier kein Gebrauch gemacht. Zuweilen sind die Morphologie oder die Satzstellung freier und lehnen sich an ältere Muster an.
Singe, Muse, die Leiden eines seltsamen Herzens: | |
Daphne hat mich zur hoffnungslosen Liebe verurteilt! | |
Doch ich wehre mich und klage nicht laut in den Himmel | |
Oder werfe den Leib oder Tränen vergeblich zu Boden. | |
Cupidos Pfeil genügt und gleich verlieben sich Paare | 5 |
Jung und Alt: Erspart wird niemand, niemand entflieht. | |
Selten hat irgend ein Weiser Herzens Ruhe gekannt, | |
Wird die Brust ja bald zum Eden, bald zu der Hölle | |
Stürmen in dieser weiteren unerreichbaren Wüste... | |
Was? Du wolltest preisen die Kinder solcher Gefühle? | 10 |
Flieh, ich warne, vor Begehren: Schlimme Verwirrung | |
Stiftet jener Gottespfeil, der ohne sein Wünschen | |
Tief in den dunklen Eingeweiden des Leidenden wütet. | |
Willst du wirklich frei diesen Schmerzen dich ergeben, | |
Ohne Kampf, um der Welt des Weisen Bestand zu beweisen, | 15 |
Suchst du überhaupt durch Trank und Tanz dein Verderben? | |
Alter Schwede! Dein Los hat man beweint und zu Recht: | |
Allzu spät du wirst es bereuen und weinen herum, wenn | |
Giftes Pfeile dich treffen, denn du wurdest gewarnt! ✠ | |
Lasst uns nicht verschweigen Daphnes verheerende Schläge | 20 |
1
Gegen des Phoibos Brust, ich klage: Willst du betrügen | |
Noch mein Herz? Ich weiß, dass meine seltsam Geliebte | |
Mir für immer entschwunden, doch wohin? Ich versuche | |
Umsonst, meine Spur zu finden. Wer hat, ich erflehe | |
Gottes Antwort, mir die schönsten Lippen entwendet? | 25 |
Aber mein braves Blümlein ging allein ihres Weges, | |
Liebte diesen Armen nie, und mein simples Schicksal | |
Hab ich immer gewusst, stand wie im Buche geschrieben. | |
Doch was macht ein Tor, wenn tief im Fleisch eine Lanze | |
Seinen Leib durchbohrt? Cupido sieht, wie der blutet, | 30 |
Lacht aber nur, und niemand wünscht, verliebt zu sein. | |
Der Wind: weht und wütet, wohin er will, wie der Zufall, | |
Trifft mal diesen, trifft mal jenen – plötzlich die Liebe, | |
Weiß doch keiner genau warum – und einige glücklich, | |
Manche schweigend. Wird der Verliebte zurückgewiesen, | 35 |
Welche Kräfte weisen diese Herzensstrahlen zurück? | |
Zeit vielleicht? Geduld allein soll Leidende retten? | |
Manche Liebe währt durch die Jahre, wartet auf Wunder, | |
Hofft beim kurzen Schein und schließt die Augen vergeblich. | |
Nicht zu Grunde richten, nein, du sollst sie vergessen, | 40 |
2
Solche Pein – die üble Brust behandeln zum Mindesten, | |
Denn es mag ja sein, dass es nimmer heilt in der Tiefe, | |
Da die Hand des Arztes nur schwer zu greifen vermag. ✠ | |
Rosen? Die Zeiten, da man verwechselte Busen mit Blumen, | |
Sind vergangen, mein Lieber, heutige Brillen sind besser, | 45 |
Wagt ein Dichter lange nicht mehr den blöden Vergleich! | |
Ist die Liebe die Blume, der Wind, der verblassende Duft? | |
Weniger wohl als das, sie gleicht dem Grillen im Garten: | |
Legt die Hand die rohen Stücke flach auf das Gitter, | |
Wer zuerst gegriffen, hat das Spielchen gewonnen. | 50 |
Sorry, mate, ich wollte nicht verderben dein Hoffen, | |
Aber wenn du dorthin gehst, um Blumen zu suchen, | |
Hast du dich doch verkalkuliert, es wird ja gegrillt, | |
Glaube mir, wohin dein armes Auge nur reicht. | |
Holde Blätter, von denen du all die Jahre geträumt, | 55 |
Wirst du nur im Friedhof finden – this is the spirit! ✠ | |
Daphne, liebes Ding, ich hätt am liebsten vom Anfang | |
An gewusst, dass es Herz nicht gibt und wir es erfinden | |
Wie ein Kinderspiel, das die unerfahrenen Hände | |
Werfen zu Boden, tretten gar mit Füßen wie Bälle, | 60 |
3
Ulkrigen Fußball... Aber auch der Schmerz ist erfunden? | |
Blut ist noch lange kein Gefühl, aber ach, die Vergiftung | |
Dringt hinein und regt sich, pocht, betrügt den Verstand. | |
Plötzlich dünkt sich glücklich jener dumme Verliebte, | |
Weiß nicht, welches Leid das Gift bereitet der Kiste, | 65 |
Glaubt sogar, das Lächeln des Busens beweise die Liebe, | |
Lebenssinn in Leib und Seele: Die Blumen? Die schweigen. | |
Schlecht ist beraten, der wähnte, nur die eine, die einzige, | |
Könnte den Sturm im Magen stillen – die trotzigen Kinder | |
Geben sich zufrieden allein nach langem Beharren, | 70 |
Zeitverlust und verlorenen Worten. Da helfen Gedichte | |
Wenig, auch die längsten Bekenntnisse, Briefe, Berichte – | |
Nur das Schweigen beruhigt. Hey! Ich dachte sogar, | |
Du würdest bald Apollo lieben, sobald du erführest, | |
Welches Maß, mit welchen seltenen Worten sich kleidet | 75 |
Meine Lust, die kaum gesprochen, gehört und gelesen. | |
Was vermag ein ganzes Wörterbuch zu bewirken? | |
Bald ein Gähnen? Mancher wähnte sich besser gestellt, | |
Gütiger Himmel, der lieber helle Farben betrachtete | |
Und wollte seine Liebe gar durch seltsame Rufe | 80 |
4
Künden der Show und klagte, alles erinnert an seine | |
Schöne. Und dennoch gar kein Vieh erbarmte sich sein. ✠ | |
Liebende wurden öfter vor aller Augen verwundet, | |
Gehasst sogar, die sich zu ihrer Wahrheit bekannten. | |
Jeder weiß bis heute, wie meine Daphne durch Städte | 85 |
Hilfe gegen Phoibos rufend rannte und keuchte – | |
Hasste mich die Nymphe, da ich nun legte zu Füßen | |
Ihr mein Herz, verwies aus ihrem Wesen den Armen. | |
Mancher hat gesagt in solcher komischen Lage, | |
Seine Liebe reiche für zwei. Doch in der Liebe, | 90 |
Ist sie ehrlich, findet Rhetorik keinen Gebrauch. | |
Willst du wirklich diese Najadenblätter berühren? | |
Jede Zärtlichkeit sie wies mit Dornen zurück! | |
Tausende Stacheln werden meine Lust verletzen | |
Aber nicht zerstören: Ich erkenne am Dorne | 95 |
Selbst das Schöne. Blühe, meine ewig Verehrte, | |
Dass du mögest wissen, wenn die Dornen vergießen | |
Dieses Blut: Ich liebe dich, ich harre der Wunden. ✠ | |
Aber vergessen wir den Schicksalsschlag des Apollo: | |
Daphne ist verloren. Alle Klagen sind lächerlich. | 100 |
5
Lasst uns ganz im Stillen ein hartes Leben bedauern, | |
Meine nymphenverhassten Liebesworte verstummen. | |
Habe einst den Sternenschein mit strahlenden Augen | |
Gar verglichen, jeder tut es. Das Zimmer des Liebenden | |
Wird in einen Himmel verwandelt. Lichter von Weitem | 105 |
Geben dem Sinn Vergessenheit, den trügenden Flimmer | |
Dunkel, verlassen – Tempel nimmer möglicher Freuden | |
Sind ein Seelenwahn, Verderben höllischer Hoffnung: | |
Jede Liebe wähnt sich göttlich, doch Daphne allein, | |
Sagte ich, verdient mein Herz. Es glühen die Adern, | 110 |
Doch der Stern ist kalt und fern, nimmer erreichbar. | |
Nicht eines Traumes Hand vermöchte, ihn zu berühren, | |
Weilen doch die Träume im Bett, zwischen den Kissen, | |
Sorgentränen, Wind – ach, dieses leere Gedränge. | |
Lächle, eitle Freude, ich drücke die Kissen und küsse. | 115 |
Wie? Du willst mit Sternen sprechen? Ja, du erwartest | |
Wohl, dass die sagen, was nur der Mund dir sagen könnte, | |
Nur ein einziger. Aber nicht diese Strahlen verkünden | |
Jemals, wann die Wunde am Ende des Blutes vergeht. | |
Mancher hat die Größe des Kummers mit der des Olymps | 120 |
6
verglichen, aber was bezweckt dieses Lob der Tränen? | |
Nein, es gibt mehr Himmelskörper als Augentropfen, | |
Das ist gewiss, mein Lieber. Maße sich deine Klage | |
Nicht so furchtbar an! Ein Seufzen bedeutet wenig: | |
Still ist der Liebestempel. Klein. Einfache Worte. | 125 |
Ärgere niemanden, Litanei gehört in die Kirche: | |
Viel Gelaber verwirrt sogar den besten der Freunde. | |
Leg dich hin und höre doch bitte auf zu jammern! | |
Manches Bett ertränkte die Zeit. ✠ Endet die wahre | |
treue Liebe? Ich wollte die krassen Götter befragen, | 130 |
Doch Erhabene wissen kaum, ob jemand des Abends | |
Liebet noch wie morgens. Noch ein weiterer Morgen | |
Wirst du sein? Sobald er wird, wird er nun Jetzt. | |
Dieser Eindruck, du werdest morgen leben und lieben, | |
weil du nunmehr liebst, das Wort hat manchen betrogen. | 135 |
Dir erscheinen Ewigkeiten so kurz wie die Stunde, | |
Mir der Liebesblick die letzte Antwort und Wonne. | |
Lasst uns solche Gedanken jedoch besser bedenken, | |
Ehe wir irren wie Rilke lange Briefe verfassend. | |
Wie? Du wolltest nur beschützen einst die geliebte | 140 |
7
Blume an deiner Brust? Immer dieselben Geschichten, | |
Aber wisse, du wirst nicht viel erreichen mit Sagen. | |
Dass Cupidos frohes Gift deine Adern zerfleischt, | |
Macht dich nicht besonders. Besonders bist du nicht, | |
Wenn du versprichst, du liebest mehr als alle zusammen, | 145 |
Oder sagst, du willst nur tief berühren und streicheln – | |
Hat’s ja öfter gegeben, die Holde halten und alles: | |
»Gib mir, Daphne, deine Hand. Aus unseren Seelen | |
Wird ein Kuss nur Eine machen.« Schlechte Dynamik – | |
Wer kein Priester ist, der lässt die Seele in Ruhe! | 150 |
Ich habe zu sehr an reine parnassische Augen geglaubt. | |
Dein Herz war meinem nicht nah und ich wähnte zu sehen, | |
Grausame, Wunder – ich will vergessen, gehen, vergehen. ✠ | |
Ich sollte lieber lachen und denken der klügeren Kinder, | |
Die ziehen durch die Reeperbahn in saufenden Scharen, | 155 |
Stets verwickelt in Fickereien und wilden Gewimmeln | |
Durch die Gegend, in abgefahrenen Kneipen und Diskos. | |
Ihre Flirts mit krassen Mädels, gewaltigen Zicken | |
Nur gesichtet im Hamburger Berg, sind echt der Hammer. | |
Aber bist du glücklich, dieweil du sonnabends treibst | 160 |
8
Ungehemmt dein Unwesen? Nicht in höhlischen Nischen | |
Würde einer wie Phoibos die treffliche Muse finden. | |
Vieles aber hätte vielleicht der Werber gewonnen, | |
Hätt ich nicht gezaudert, die Daphne einzuladen | |
Zum Kaffee – hätte sicher mehr erfahren zum Mindesten, | 165 |
Wer weiß: Eine wie Daphne weiß wenn überhaupt ja kaum, | |
Was sie noch will – abgesehen vom Flirt und so weiter. | |
Manchem hat es geholfen, sie ins Zimmer zu nehmen, | |
Rasch die Tat zu ergreifen, gleich ein Quickie darauf: | |
Hat aber trotzdem bald die eroberte Muse verloren – | 170 |
Wusste sie doch nicht, was oder wen sie begehrte. | |
Solche schnellen Späße erspare ich mir am liebsten, | |
Spätestens nach den letzten pubertären Neurosen. | |
Toll, dein Auto hat schon richtige Wunder bewirkt, | |
Doch nach all den Jahren gibst du noch an, mein Lieber? | 175 |
Irgendwann, mit der Reife, beruhigt sich das Gemüt, | |
Letzten Endes trifft dich früh oder später der Tod: | |
Ernsteres brauchst du dann als bloßen Flirt und Fick – | |
Eines aber ist sicher: Zum Glück gehört eine Wette. ✠ | |
Meine Daphne bleibt mir nach wie vor die Rosette | 180 |
9
Voller Dornen, eine, die nicht ein göttliches Auge | |
Mag erkennen. Vielleicht repräsentiert sie welkenden | |
Schein allein, der niemandes Herz zu sehen vermag und | |
Nimmer den Namen liebender Tropfen vernehmen würde – | |
Lieber vegetiert sie als regloser Baum ohne Früchte. | 185 |
O des Verliebten tiefe Verwirrung, ich wähnte sogar, | |
Ein Blättchen jenes Baumes zu sein, gedankliche Frucht. | |
Ich? Gefallenes Laub, dessen Schatten Winde verwehen. | |
Daphne merkte nicht eine leichte Regung des Kummers: | |
Meine alberne Muse ist weit vom Verstande entfernt, | 190 |
Unerreichbar wie der Duft eines blöden Geheimnisses. | |
Welkender Lorbeer, möge mit dir die Hoffnung welken! | |
Eine Erinnerung kaum erfahrener Freude entschwindet, | |
Denn das Herz ist nur ein Kelch vergessener Tränen. | |
Werde mich bald verschütten und dürsten erneut nach | 195 |
Solchem Trank, dem Kelche ewig trauriger Träume. ✠ | |
Endlich Ruhe finden nach dem schwindenden Wahn: Die | |
Nacht in meiner Brust erlöscht fantastische Lichter, | |
Zeigt dem Liebestollen das Tal der Selbstüberwindung. | |
Besser wär es, versteckt vor Ton und Farbe zu leben. | 200 |
10
Einst gedacht ich, den künftigen Lorbeerbaum zu besingen, | |
Lachte gar. Du lachst? Verschließe lieber dein Herz, | |
Verwandle die Seele dein in einen kräftigen Stein, | |
Dass nicht Poseidons Wind, die Sturmeswoge sie schlage | |
Wie die Fluten einst des Nordens Länder verschlangen. | 205 |
Anderen Falles wird dein Sinnen zum Fluss ohne Ufern, | |
Weder Schilder noch die Hand eines Schiffers dir helfen. | |
Wenn die Wellen weichen, Verliebter, lache noch nicht: | |
Stille Wasser sind tief und jede Tiefe gefährlich. | |
Zierlich sieht der Spiegel aus – beruhigend einfach. | 210 |
Doch du wähntest, als erster des Übels Lösung zu finden? | |
Etwas Bescheidenheit schadet nicht, Erinnerung dennoch, | |
Stetig Gedenken gewesener Tage, Verlangen nach Lippen. | |
Zeus! Du hast Apollo nicht gesagt, dass die Götter | |
Leiden, gleich der gängigen Brut vergänglicher Helden – | 215 |
Nicht enthüllt, wonach ein flüchtig Fühlen nur trachtet. | |
Wie? Es nennen olympische Götter Edles im Menschen, | |
Was jeder Mann bei Verstand als bloßes Elend erkannte? | |
Sind die Schritte zwischen Freuden und Gräueln so kurz? | |
Anders hatt ich einst gehofft und anders besangen die | 220 |
11
Tanten Liebender Segenslieder mit trügenden Tänzen: | |
Derer nun sich schämt im Stillen verführtes Gemüt. | |
Singe, Muse, die Leiden meines hageren Herzens! | |
Ich erkenne, beim Vater, des Busens grausam Gespött, | |
Mich, den verlorenen Gott und auserkorenen Clown. ✠ | 225 |
Jeder Kneipenkerl hat Apollo ständig gewarnt und | |
Jeder dem Bacchus ergebene Schurke besser gewusst: | |
Nur in Märchen wird ein Mann die Erhabene finden, | |
Hat ja selbst der Werther die Schweinerei erfahren! | |
Ich hasse Herzen und Kneipen und Heiratsagenturen, | 230 |
Diese Liebeleien des Netzes genügen auch nicht. | |
Doch Apollo wollte Selbstverständliches leugnen: | |
Diese blumigen Tussen sind ja Tränenbeförderer! | |
Ist doch ihr Spaß, es ist ihr Hobby und Lebenserfüllung: | |
Schön verführen, zack, schön verschwinden die Zicken. | 235 |
Wie? Man machte mich zum Besten, während ich träume | |
Noch von Düften? Ja, ich träume wohl, ich gesteh es | |
Trotz dieses hinterlistigen immerwährenden Teasings – | |
Nein, ich habe nicht getrunken, ich labere nicht, denn | |
Niemand wird die Lächerlichkeit der Tränen noch trösten, | 240 |
12
Keine Hand, kein Wort, Gefühle schwinden im Schatten. | |
Ja, ich bin stumm, seit ich die Himmelsenge erfahren, | |
Schmal wie dieses sterbliche Stück, schwer wie das Fleisch: | |
Selbst ein liebend Gemüt ist nur des Fleischers Genuss. | |
Schlage aus, du Müdes! Olympische Wonne nicht passte, | 245 |
Nein, ins schwache Gefäß hinein. Ich gieße vergeblich, | |
Blume mein. Ein winziger Topf ist mühlos übergelaufen: | |
Blüten werden bunt, weil sie der Liebe nicht fähig. ✠ | |
Soll ich lieber hoffen als hadern? Der Winter bedeckt die | |
Welt mit Winden. Dass Liebeslicht den Hades erreicht als | 250 |
Feuer, nicht gelöscht vom Herbst, und Glück in der Kälte | |
Funkelt, Lust im Leid, und nicht der nächtliche Schlund | |
Den letzten Schatz des Diebes stiehlt? Verdächtiges Hoffen, | |
Frommer Wunsch, und dennoch, Daphne, ich hatte gehört da | |
Oben von Superlippen, in denen der Sommer nicht endet. | 255 |
Sollt ich alles verlieren, behalte vom Toten, ich bitte, | |
Nur den Atem, Verlangen nach Küssen bestatte mit mir. | |
Endlos werden Winter wehen dem Weinenden Nacht, | |
Jetzo schenket nur Hauch mir Hiebe. Täusche den Augen, | |
Sternenschein, und tröste zersetztende Wunden mit Wind. | 260 |
13
Zeige wie früher dem Frohen Augen geliebter Gestalten, | |
Erneut ich möge sagen, ich möchte sie ewig erblicken. | |
Lieber soll ich erblinden, ertauben lieber, vergessen, | |
Je Gesang aus Daphnes Munde vernommen zu haben: | |
Noch erklingt im Sinne Singen, süße Verderbnis. | 265 |
Erhebe, Mond, dein halbes Blau aus finsteren Höhlen, | |
Verschütte dunkles Denken über seltsame Seelen. | |
Wagte ich wirklich, Muse, Daphnes einst zu gedenken, | |
Sie mit Mondes Schein zu vergleichen – wagte zu lachen, | |
Ich, als malte der Flimmer geliebtes Antlitz im Wahne? | 270 |
Ja, ich wünschte gar, dass der Mond den Händen gliche, | |
Den meinen, dass ich vom Himmel herab berührte mir ewig | |
Verschlossene Löcher, ich dann entdeckte, welches Geheimnis | |
Herzen von Herzen trennt. Die Blumen aber verstummen. | |
Wird Apollo seiner Geliebten Händchen noch halten? | 275 |
Schütze, lieber Mond, Gemüter vor Wahn und Verlangen | |
Nach Nimmermöglichem, ferner noch verborgen als Sterne. | |
Möge die Liebe der Toten sich verwandeln in Staub. | |
Sage nicht, ich bitte darum, dass Bilder betrügen, | |
Träume keinen Tag ertragen, dass Dämmerung Träne. | 280 |
14
Hab ich nicht gekannt der Zeiten gemeines Geschäft? | |
Doch ich wähnte, ich liebte mehr als die Träume | |
Meine süß Geliebte. Mehr als die Träume Wahrheit | |
Waltet nur, doch Wahrheit Apollos einsames Harren. | |
Lass die Wellen, Poseidon, ertränken traurige Toren, | 285 |
Die Farben mehr als Wahrheit lieben. Ich liebe die Lüge, | |
Daphnes Schein als ob den meinen. Und wäre sie wertlos, | |
Mir doch Edelstein, dem Staub und Scharten nicht schaden, | |
Mir dieselbe bliebe das Blümlein für immer geminnt. ✠ | |
Medizinische Kenntnisse schützen vor Schande, gewiss! | 290 |
Kranke Gedanken wie Hirngespinste richtig zu deuten | |
Hilft bei der Wahl geeigneter, therapeutischer Stoffe. | |
Letzten Endes ersparst du deinen älteren Freunden | |
Famose Auftritte. Wie? Du hast vergessen, schon wieder, | |
Jenes Treppenhaus, da die Nachbarn morgens um vier | 295 |
Dich nackt und fröhlich singend fanden? Möge ja lieber | |
Dein innig Poseidon geopfertes bleiben verschwiegen. | |
Nein, der Meldung solcher Highlights trefflicher Liebe | |
Tue ich Eintrag, dass coole Selbstsophisterei und | |
Dergleichen damit sein Bewenden habe – und Schluss. | 300 |
15
Jetzt ist Daphne ein krasser, schattenfettiger Baum. | |
Lass mich, Muse, menschlich reden. Die Nähe der Liebe | |
Scheint mir Ferne, Gefühle mir geschlossener Brunnen. | |
Nenne den Arzt, der meiner Heilung Mittel verschreibe, | |
Dass nicht ein zweites Mal ich kotze, einsam vergehe, | 305 |
Seltsam, ohne Kenntnis und fest an Ewiges glaubend. | |
Werd ich aber wirklich geheilt? Es waltet im Wissen | |
Wenig Wert, und lieben zu wissen ist Liebe vermissen. | |
Weder weiß ich zu lieben noch die Worte zur Liebe | |
Findet mein Fluss, und ich beneide keinen der Weisen. | 310 |
Ist es richtig, dass tief die Klage brennt in der Brust, | |
Keine Brücke nach außen findet, erkaltet im Ewigen? | |
Nie war mir das Herz vom Mitleid so weit entfernt, | |
Trost ein Tropfen, kleiner gar als vergebliches Wort. | |
Mich, Uranos, lass das Glück in den Wogen erfinden, | 315 |
Meer der nimmermöglichen Antwort, flüssige Wonne. | |
Nur das Menschliche weint in mir, Göttliches nicht? | |
Sei es dem Rätsel überlassen verwirrender Fluten: | |
Lache, wer da leben will, und lasse das Trauern. ✠ | |
Ich erkenne bereits die Witze parnassischer Musen, | 320 |
16
Wenn sie freche Burschen warnend mein Leben belächeln. | |
Auch olympische Renner machen sich lustig, die denken: | |
Gott, ist der blöd! Es wurde wirklich nimmer gehört | |
Von Herakles, dass so ein Typ mit Lebenskraft entbrannte | |
Jemals für Frauen, um nur zugrunde gerichtet zu werden. | 325 |
Ich aber ward geboren und sterbe im musischen Banne! | |
Habe mir eingebildet, die Daphne wollte mich haben, | |
O Geheimnisse krasser, nie geheilter Verblendung: | |
Seit der ersten Wahrheitsstunde rannte sie weg und | |
Schneller denn meine olympischen Renner bei Flucht. | 330 |
Sie rannte, als müsste sie das Leben retten vor Schande, | |
Machte keinen Unterschied zwischen Gott oder Gräuel. | |
Oder ward mein Los gewollt, bestimmt und besiegelt, | |
Kann es sein, von hörerer Göttergewalt? Der erhabene, | |
Schöne Apollo sei Daphne der besten Nymphe verhasst. | 335 |
Schon was Besseres hab ich verdient. Aber was soll's, | |
Was sein muss, sei, die Frau hat nichts gehalten von mir, | |
Ich komm schon klar. Doch so vor aller Augen durchdrehen | |
Wegen meiner Worte, das war übertieben, schon ätzend. | |
Heute gibt es ja viel elegantere Arten, doch sicher, | 340 |
17
Einen Korb zu geben, wobei – und wohlgemerkt – | |
Es ist nicht so, als hätt ich mich völlig rangemacht, | |
Das arme Mädchen nicht in Ruhe gelass’ und so weiter. | |
Frage wer da will die gewöhnlichen Musen, ich bitte: | |
Wie? Apollo ist jetzt ein Stalker geworden? Tja... Bei | 345 |
Aller Bescheidenheit – ich kenne schon bessere Arten. | |
Nur es ging mir echt auf den Geist, es hat mich empört, | |
Der ganze Auftritt! Ich wurde bloßgestellt und belacht. | |
Darum habe ich mich, ich gesteh es, quatschig benommen, | |
Bin dann hinter die Muse gerannt, um der Pute zu zeigen, | 350 |
Wo der Hammer hängt. Jetzt aber heißt es – wer hätte gedacht! –, | |
Apollo sei außer sich gewesen – die Hälfte der Wahrheit! | |
Gut, ein bisschen amour passionnel mag liegen daran, | |
Hat von jeher mancher Freund versucht, mich zu warnen, | |
Aber dass Apollo durch Wälder und Wüsten gerannt, | 355 |
Sinn und Verstand total verloren, Spritt verschwendet, | |
Solche Sprüche lass ich mir gefallen, mein Freund, das | |
Ganze stimmt wohl nicht! ✠ Ich muss die Sache erklären: | |
Erstens, einer meines Ursprungs, Apollo geruht nicht, | |
Tussen hinterherzulaufen, das wär ja das Letzte – | 360 |
18
Nicht so dürftig, mein Guter, ist olympische Wahl, und | |
Zweitens, Daphne sprach ich aus diesem Grunde an, weil | |
Edlen Mädchen nicht ziemt ein solches Benehmen, natürlich! | |
Ich wollte jenem dämlichen Leben Erleuchtung nur bringen, | |
Folgte meinen Götterpflichten, und folgte nicht willig! | 365 |
Aber zum Sterben verliebt? Nein! Das war ich nicht! | |
Ja, sie hat schon was Cooles, ich bestreite das nicht, | |
Man muss gewiss das Schöne immer wissen zu schätzen. | |
Augenblicklich konnt ich mich nicht länger beherrschen, | |
Sagte meinem Kumpel: Mensch, das betrunkene Mädel | 370 |
Dort erinnert mich an die treffliche Hera, die Mutter | |
Einst geweiht, zum Wohl des Kosmos Zeus zu gebären. | |
Da geschah es doch, dass Daphne die Worte vernahm und | |
Wider Erwartung Anstoß nahm, die wähnte ganz eitel: | |
Ha! Der eingebildete Gauner will mich verarschen! | 375 |
Mando – meine Geduld ist jedem Krieger bekannt: | |
Dieses Theater hätte mich nicht gestört und empört, | |
Aber die Art und Weise, hallo, wie das Ding reagierte – | |
Als ob ein bloßer Hund erschienen, den Hintern zu riechen – | |
Also, zum Teufel mit Höflichkeiten, was soll der Quatsch? | 380 |
19
Völlig ungehalten war ich – und ich habe gehandelt! | |
Missverstand ich was? War der Spruch dieses Mädchens | |
Etwa der Ausdruck einer modernen Lebensermüdung? | |
Ach, der kleinen Barbie traut ich so viel nicht zu, | |
Nicht in dem Alter – war doch überzogen die Show, | 385 |
Daphne genoss ihre Freude, Männer wegzujagen. | |
Doch ich wusste das nicht, als ich die Lachende frug: | |
»Verzeih mir, Baby, ich habe zum Labern keine Begabung | |
Und möchte nicht ohne Weiteres inkommodieren die Dame. | |
Aber hat sich vielleicht dies Lachen bezogen auf mich?« | 390 |
»Digga,« sie mahnte, »wird ja Zeit, die Kurve zu kratzen!« | |
Jeder reagiert, in der Tat, auf verschiedene Weisen, | |
Doch die robuste Antwort hatte mich voll überrascht. | |
Wie denn? Ich sollte mich gebieten lassen von Barbie, | |
Mich bereits zu empfehlen, mich vom Acker zu machen? | 395 |
Wir hatten uns bereits getroffen (die heißen Details | |
Erzähl ich gleich)! Apollo hielt es ja für gewiss, | |
Er sollte in Bälde Lady Hoffart wieder begegnen – | |
Denn ich musste erfahren, ob Daphnes Anmut am Tage | |
Wie bei Nacht sich bewahre im Lichte nüchterner Sinne. | 400 |
20
Dieses geschah! ✠ Bevor ich dennoch komme zu solchem | |
Langen Bericht, das Was und Wie des Treffens erkläre, | |
Gönne, Schicksalstante, dem Traurigen eckige Klammer, | |
Dass ich dem Hörer meines Liedes ein Leiden gestehe, | |
Das nur naive Kasper kennen. Ich habe mich langsam, | 405 |
Ohne der Weisen Rat zu folgen, in Daphne verliebt, | |
Ich habe mich ruiniert – ich widerspreche mir gerne! | |
Ich erkenne nicht ohne Schande, dass Daphne die beste, | |
Vielleicht die einzige war, die ich beglücken wollte. | |
Ich hatte Zeus vom Liebesblitz verständigen lassen, | 410 |
Ja, der meiner Sinne, fast des Seins mich beraubte. | |
Ich war ein Schiffer, der zum ersten Mal einen Hafen | |
Sieht und kaum des Leuchtturms schlimme Nähe erkennt! | |
Ich träumte den stillen Albtraum und wusste doch nicht, | |
Dass ich den flüchtigen Fluss nur liebte, ich liebte | 415 |
Wind und Woge – ich verehrte nur ein trügendes Abbild | |
Meiner Lügen! Ich lenkte ein Schiff durch innere Leere, | |
Leere Hoffnung, Hoffnung im hoffnungslosesten Sturme. | |
Soll ich meinen Kummer vergessen, vergessen das Bild, | |
Wie gut und schön und wahr die Liebe war, die mich tötet? | 420 |
21
Sage, Nymphe, wohin der See ich soll mich begeben, | |
Dieses Seelenversagen und meine Pein zu versenken! | |
Wird ein Ort mein Hafen sein? Ich werde bewohnen | |
Felsen wie Fluten, werde Meer wie Erde verlassen, | |
Nie zu Hause: nirgends im Herzen meiner Geliebten. | 425 |
Wozu das allerschönste Haus erbauen, wenn Daphne | |
Nicht ein winziges Zimmer für meine Schmerzen hat? | |
Zeige mir, mit welcher Gewalt die gewaltsamen Wellen | |
Tief im Schlund zu befrieden! Niemand ist grausamer je | |
Als wenn er sich geliebt erkennt und Liebe verschmäht. | 430 |
Soll ich doch offenbaren, welchem dürren Geschlechte | |
Ihre Brust und Geist sich fügt? Unglück verehrt sie, | |
Nixen, die nicht allein den Schiffenden weisen zurück, | |
Sondern auch das Schiff in den Meeresboden begraben. ✠ | |
Aber jeder weiß es, die Sterne bestehen aus Steinen – | 435 |
Niemand ist entschuldigt, weder Täter noch Opfer. | |
Hätte die Brust eine Krone, wäre die Nymphe gewesen | |
Meine Herrin, doch der Schatz ist des Schätzenden Sache – | |
Macht aber nichts, okay, ich soll allein mich beklagen: | |
An meiner Unschuld, Muse, ist die Liebe nicht schuldig. | 440 |
22
Schuldig war diese lange, kurze, grausame Zeit, da | |
Ich dem Lieblingsbaum nicht zeigte meine Wahrheit: | |
Ein grünes Blättchen hätte mich erkannt und geliebt, | |
Verwandlung wäre nicht so eilig zu Tage getreten. | |
Danke, Zeus! Jetzt ist Daphne ein inhaltsentleerter | 445 |
Baum, die Seele unerreichbar, Schönheit ein Schatten. | |
Ich gedachte zu haben, was nur den Wörtern gehört. | |
Aber lass mich, Liebste, aus deinen Blättern Kränze | |
Binden zum Siege meiner Liebe gegen die Klage. | |
Sage dem Gott, dass Treue der Trübsal überlebt! A- | 450 |
Pollo wird seine Sieger mit Lorbeerblättern beschenken: | |
Nichts ist edler denn des Herzens zerbrechliche Wonne. | |
Nichts ist edler denn ein langes liebendes Harren – | |
Nehmt, ihr Leidenden, diesen Lorbeerlohn, der verlorne | |
Hoffnung erlöst, nehmt die Krone verwundeter Krieger! | 455 |
Sieger ist der, der seine Liebe gesteht, und der Sieger | |
Soll dem Zeus erklären: Wer immer Herz in sich trägt, | |
Ist Mensch! Wer lebt und unermesslich leidet und liebt, | |
Ist Mensch, des Gottes Namen namenloses Vergehen. | |
Niemand ist frei und aller Los ist Fleisch und Gefühl: | 460 |
Vergeblich wirft der Held sein Liebesleid in die Lethe. | |
Vater, du hast in der Not verlassen ein zartes Gemüt, | |
Dem Schicksal Sinn entwendet, doch ich geb ihn zurück. | |
Deiner Opfer haben die Lorbeerkränze gedenkt, denn | |
Sieger ist der, der sich zu seinem Herzen bekennt. | 465 |
Apollo an Daphne |
Lasse, Muse, meine traurigen Töne verstummen, | |
Gehe deines Weges, vergiss das kitschige Klagen: | |
Heutzutage spielt der Kram eine winzige Rolle. | |
Ja, ich fahre fort und erzähle deiner Neugier, | |
Wie ich Daphne verloren, eh’ ich konnte gewinnen. | 470 |
Zweifelt jemand noch, dass ich ein trutschiger Werber, | |
Nur ein biederer bin, dem selbst ein albernes Mädel | |
Einen Korb nur gibt? Es ist der äußerste Wahnsinn, | |
Ätzend, wie ich mich benehme. Die komische Sprache | |
Törnt schon jeden ab und geht auch völlig daneben. | 475 |
Daphne hatte nichts für solche Schelmen übrig: | |
Jenes Abends wollte sie zum Date mit dem Dealer. | |
Ohne zu wissen, stört ich das liebe Rendez-vous – | |
Wie denn nicht? Das Ding erkannt’ an meiner Visage, | |
Dass ich zum postillon d’amour mich weniger eigne, | 480 |
Der Vögelliebelei offensichtlich richtig im Wege. | |
Doch ich wusste nichts, das Newsfeed ihres Facebooks | |
War mir völlig unbekannt, den Account und das ganze | |
Suche ich immer noch vergeblich – nun ist es egal, | |
Ich war dazu bestimmt, der Spaßverderber zu sein. | 485 |
1
Hermes schickt ich los, die Lage auszukundschaften, | |
Wollte wissen, mit wem und wo genauer sie feierte, | |
Welche Begegnungen vorgezogen, welche vermieden. | |
Sicher warnte mich der Kumpel! Es war mir wurscht, | |
Daphne musst ich jedenfalls zu sprechen bekommen. | 490 |
Also ging er und hielt die kleine Freundin von ihr | |
Auf dem Weg zur Toilette: »Kurze Frage, Madame...« | |
»Raus!« – jene Grazie wollte richtig Remmidemmi, | |
Hermes aber ließ sich so etwas nicht gefallen: | |
»Hast Du Borderline oder was?« Bevor sie erwiderte, | 495 |
Kam er direkt zur Sache: »Ist die Daphne vergeben?« | |
»Weiß ich nicht, es war die Rede vom Dealer die Tage.« | |
»So«, der Kumpel sagte, »wird es ernst mit den beiden?« | |
»Ist der Typ verknallt?« – sie meinte, versteht sich, mich, | |
Aber Hermes verzog das Gesicht: »Er möchte sie sprechen.« | 500 |
»Meinetwegen, you go ahead, ihr wisst, wo sie ist. | |
Beißen tut sie meistens nicht.« Er nahm sie zur Seite: | |
»Würdest du so gütig sein und mit Daphne reden?« | |
»Was?« »Na ja, mein Kumpel ist ein wohl erzogener, | |
Möchte sich erst durch diesen Weg bemerkbar machen.« | 505 |
2
»Pfui, das hört sich...« »Bitte«, Hermes flehte sie an | |
Und fort sie ging und kam zurück, dem Freunde zu sagen, | |
Daphne wolle gnädig sein und wir könnten uns treffen | |
Vor der Tankstelle, wo sie Gras zu kaufen versuchte. | |
Vor solch ominösen Orten versuchte Hermes vergeblich, | 510 |
Mich zu warnen, denn ich fand den Vorschlag famos. | |
Also ging ich und hegte frische Hoffnung im Herzen. ✠ | |
Klar, sie war verrückt nach mir, sie hatte gewartet | |
Schon auf mich, bevor ich sogar die Stelle betrat. | |
Lass mich meinen Bericht auf nur die nötigsten Worte | 515 |
Beschränken – wir unterhielten uns wie alte Bekannte, | |
Teilten Geheimnisse miteinander: Sie glaubte an Ufos. | |
Ich erzählte ihr von Gott und vom Ursprung der Welt | |
Und wie man Schimmelpilze bekämpft. Es reichte nicht, | |
Ich musste mehr, doch alles über das Mädel erfahren. | 520 |
Daphne lachte mich an und blickte mich an wie Isolde | |
Damals Tristan, und selbst ein Blinder könnte erkennen, | |
Wie das Ding mich verherrlichte, entbrannte für mich | |
Und mich zur Seite nehmen würde, um hinterm Gebüsch | |
Oder im Häuschen daneben ungebändigt zu küssen. | 525 |
3
Ihr Gesicht verwandelte sich in ein Facebook-Smiley, | |
Wurde immer rötlicher, die Atmung immer nervöser. | |
Sie schaute hin und her – ich wusste, was sie wollte. | |
Ach, ich gestehs, nahm ihre Hand und sagte verzaubert: | |
»Liebste, wir gehören zusammen, du sollst mir gehören!« | 530 |
Sie nahm die Hand zurück und was für Augen sie machte! | |
Sie drohte, sie werde gehen, sie ging, sie kehrte zurück | |
Und lag ja verstört in meinen Armen und sagte bedächtig: | |
»Alter, ich weiß nicht, was ich will!« Und wollte sie gehen, | |
Hielt ich sie auf: »Herzchen, ich weiß genau, was ich will | 535 |
Und weiß, wie viel du mir bedeutest.« Sie staunte zurück. | |
Ein Kreis erlauchter Tankstellenkunden sammelte sich, | |
Gleich vor uns, um das Ende der Story zu schauen, | |
Pop-corn haltend. Daphne aber regte sich auf: | |
»Bist du blöd?« Klar, sie wusste nicht die Bedeutung | 540 |
Meiner Worte. Sie fragte danach, ich sagte die Wahrheit. | |
Klar, es war ja zu viel für sie, ich kann es verstehen, | |
Denn erst gerade hatten wir beide uns kennengelernt: | |
»Was hast du denn in mir gesehen?« Die Frage war ernst, | |
Die Antwort zögerte. Diesmal war Apollo erstaunt. | 545 |
4
War das ihre Stimme, die mich verzaubert hatte? | |
»Was? Du hörst allein eine arme Synkronisierung!« | |
Meine Herren, ich wusste nicht, ob ich sollte erwidern: | |
»Wie,« ich frug, »du meinst: im aristotelischen Sinne?« | |
Ältere Frauen im Kreis der Zuschauer lachten inzwischen. | 550 |
Der Dealer aber sollte gleich erscheinen, bestimmt. | |
»Was hast du denn in mir gesehen?« Wieder die Frage! | |
Warum verliebet sich und leidet das Auge des Menschen? ✠ | |
Ich erinnerte mich an die ersten olympischen Tage, | |
Als ich rannte wie Sterneslichter unter den Bäumen, | 555 |
Reife Früchte wie Farben im Schoss der Musen berührte, | |
Tobte im Garten aller Freuden. Ich hörte die Lieder | |
Des Immer-Holden und lernte Lyrasaiten zu streichen. | |
Meine Seele erblühte durch einen heiteren Berg, | |
Da nur die Liebe zum Schönen, nur das Wahre Bestand | 560 |
Und Zutritt hatten. Begierde hat es nimmer gegeben, | |
Denn Olymp war groß wie das All und alles in Fülle. | |
Mitten im Tale floß eine nie versiegende Quelle, | |
Deren Wasser jedem Wanderer Wahrheit bescherten. | |
Im Dämmerungstraume drei Gestalten versammelten sich, | 565 |
5
Und Pallas und Aphrodite saßen und später Diana | |
Wie Geschwister auf goldenen Thronen. Aber die Augen | |
Konnten voller Verblendung keine von ihnen erblicken, | |
Denn sie waren, im wahrsten Sinne des Wortes – nackt. | |
Formlos verkörperten sie den unberührbaren Kosmos. | 570 |
Umsonst wird die Hand des Menschen suchen die Stelle, | |
Wo das Fleisch und das Holde dort ein Einziges bilden: | |
Also verreist die Karawane des Himmels das Ewige. | |
Blitze des Zeus und Feuerflüße, das All überquerend, | |
Umschlingen Haupt und Zepter der drei und strahlen heraus | 575 |
Und dringen Geist gebärend durch Gefilde hindurch. | |
Frisch geborene Seelen betrachten weinend das Bild, | |
Das einst am Ende aller Zeiten wieder zu sehende, | |
Am Ziel ihres Lebens. Sie rennen, die Hände zum Himmel | |
Weit emporgehoben, das Dämmerungslicht zu umarmen, | 580 |
Doch Gesicht und Gestalten bleiben ihnen verborgen. | |
Viele werden zielverfehlt erlöschen, die edleren nur | |
Wahrheit erkennen, am höchsten Tage Gesichter erblicken. | |
Mit auf die Reise zum Abgrund nehmen die Herzen Verlangen | |
Nach dem unerkannten Geheimnis, und jeder der Scheine, | 585 |
6
Welcher sie leicht erinnert an ihrer Seelen Geburt, | |
Erweckt ein altes Feuer der Traurigkeit und Begierde. | |
Am Tage meiner Herrlichkeit ich wurde zum Himmel | |
Vor den Richtern gebracht und Pallas weihte mich ein: | |
»Knie, Liebesdichter, vor den Göttern der Weisheit | 590 |
Und wisse, dass du trägst im Brunnen befreiendes Feuer. | |
Drum handele deiner Göttlichkeit gemäß und verachte | |
Besitzende Liebe. Du kennst der Seelen Ursprung bereits: | |
Jedes Wesen besitzt in sich ein Teilchen der anderen.« | |
Also spricht Athena und opfert dem Tische des Zeus. | 595 |
War es Apollo damit verboten, sich zu verlieben? | |
Aphrodite sich nahte und reichte mir glänzende Hand: | |
»Du bist nicht Herr im deinem Herzen, liebende Flamme! | |
Wenn ein Antlitz dich an göttlich Schönes erinnert, | |
Liebe es und führe edel Geliebtes zum Himmel. | 600 |
Höchste Lust, Apollo, gehört dem Tage der Wahrheit.« | |
Aphrodite sprach und der helle Blitz ihres Wesens | |
Verklärte sich, dass ich Gesicht und Augen erkannte | |
Und wusste, ich hatte dort für das ganze Leben geliebt. | |
Meine Schwester, Diana, die meine Träne berührte, | 605 |
7
Streichelte meine Haare und sagte: »Also, mein Lieber, | |
Nur entre nous gesagt – es ist nicht so, natürlich, | |
Dass du leben sollst wie Mönche. Gönne dir gern | |
Ein Gelage ab und an, das schadet keinem Schwein. | |
Sicher, du sollst ja nicht den gogo-boy, den player | 610 |
Spielen, passt ja nicht du deiner Natur, nicht wahr? | |
Aber wenn das liebe Ding sich schmeißt an dich ran – | |
Ach, mein Guter, nimm es so wie es kommt und Schluss, | |
Kannst ja nichts dafür, du sollst auch dankbar sein. | |
Aber diesen Weibern hinterherzulaufen, mein Werter, | 615 |
Lass das sein.« Sie gab mir einen Kuss und ein Heftchen | |
Voller kitschiger Sprüche mit roten Herzen verziert, | |
Einte sich dem Kreise der Liebesgöttinen wieder | |
Und schöner Ernst aus ihrem Antlitz strahlte heraus. | |
Ich wollte meine Augen schließen, um nichts zu vergessen, | 620 |
Musste sie aber geöffenet halten, um Daphne zu sehen. | |
»Was hast du denn in mir gesehen?« »Diana und Pallas,« | |
Sagte ich, »und vieles, Unbeschreibliches noch.« ✠ | |
Später im Wirtshaus lachte der böse Hermes mich aus. | |
Zwanzig Leute besprachen inzwischen am langen Tische | 625 |
8
Meinen Fall, den der Schelm in allen Details beschrieb, | |
Ein großes Glas in der Hand. Mich bezichtigte Hermes | |
Mehr als alle Männer zusammen: »Der Auftritt war schön, | |
Mag ja sein, dass du der Daphne das richtige sagtest, | |
Aber, Mensch, das war zu doll – kann man nicht machen.« | 630 |
Umsonst erwiderte ich, es war für mich das korrekte. | |
Einer vom Stamm des Herakles intervinierte, der meinte: | |
»Phoibos, wir lieben dich!« und legte förmlich sein Bier | |
Auf den Tisch, bevor er lachte: »Nimm es nicht übel, | |
Master, deinen Fehler dennoch werde ich dir sagen. | 635 |
Zuerst du legst sie flach, das ist natürlich Gesetz. | |
Danach kann man weiter gucken, was ist und was wird.« | |
Ich, der ich ein solches Reden für lächerlich hielt, | |
Stand entschieden auf, erwiderte: »Kennst du die Daphne? | |
Weißt du etwas Ernstes über die Frau, die ich liebe?« | 640 |
»Ha! It’s just a crush that’s been going on for too long, | |
Far too long, my dear – forget about her and move on! | |
Wie? Ob ich sie kenne? Doch wer kennt sie denn nicht?« | |
Besser schien es mir, mich hinzusetzen, zu schweigen, | |
Denn ich war im Begriff, ich wusst es, mehr zu erfahren. | 645 |
9
Derselbe heraklische Kerl bestellte ein Bier für mich: | |
»Jeder wollte ganz gern ein Date mit deiner Prinzessin, | |
Eigentlich dacht ich, ich wäre heute dran und so weiter. | |
Doch nee nee, beruhige dich, verliebt bin ich nicht, | |
Ich wollte nicht romantisieren wie du mit den Musen. | 650 |
Bedenke nur eines: Sie wollte so ’nen Quickie mit dir, | |
Vielleicht aber nicht. Wenn sie keine Lust darauf hatte, | |
Hast du trotzdem verloren, wenn du nichts unternimmst: | |
Denn versuchen tut schon jeder, man muss ja versuchen! | |
Aber, mignon, wenn sie was will und du laberst sie voll | 655 |
Mit Liebelei und weiß der Geier, was soll ich noch sagen?« | |
Hermes, dachte ich mir, der mir dies Leiden bereitet, | |
Würde gleich intervenieren dem Freunde zu Liebe, | |
Mich vor dieser peinlichen Lage retten und trösten. | |
Aber das Wort aus seinem Munde war wenig erfreulich: | 660 |
»Tja, der heldenhafte Dealer, der Macker von Daphne | |
Ist in der Schlägerei da drüben ums Leben gekommen. | |
Sicher war sie außer sich. Er schuldet ihr Geld! | |
Ja klar! Das ganze Gras, das sie heute eben gekauft, | |
Sollte der Marlon Brando bezahlen. Sie wurde verlassen, | 665 |
10
Mein lieber Gott, sie wäre leichte Beute gewesen!« ✠ | |
Doch es ging ja weiter. Geheimnisse wurden enthüllt | |
Und alles was Daphne durch die ganze Gegend getrieben, | |
Bis mein Zorn der Berichterstattung Einhalt gebot: | |
»Pfui, ihr seid aber zynische Gauner! Meine Begabung | 670 |
Ist die Liebe! Euer Urteil bekümmert mich nicht. | |
Welche Lebenseinstellung hegt ihr, um Gottes willen? | |
Dieses Geschwätz über Schweinerei behaltet für euch – | |
Eure schlüpfrigen Aventüren ermüden mich höchstens. | |
Triebe haben auch eure Esel. Ich möchte bescheren | 675 |
Meiner Geliebten etwas, was nicht ein jeder Betrüger | |
Schenken kann, und dieses unterscheidet Apollo!« | |
Aber meine Wörter wirkten nicht ganz überzeugend, | |
Ebenso wenig wie die Handy-Nummer der Daphne, | |
Denn die Kneipe meinte dazu: »Die hab ich auch!« | 680 |
»Ich gratuliere!« begnügte sich Apollo zu sagen, | |
»Lasst uns sehen, was ihr damit endlich erreicht.« | |
Doch die Wette einzugehen brauchte kein Hund, | |
Denn ich galt bereits, na klar, als verlorener Fall. ✠ | |
Aber dieses verzieh ich ihnen und lauschte sogar | 685 |
11
Der amourösen Epik weiter. Ich suchte nach Lücken. | |
Da Hermes nämlich & Co. mit viel grandezza berichteten | |
Über Liebelei und gern mit Sprüchen sich brüsteten, | |
Bald erkannte ich schwache Stellen im billigen Kiki: | |
»Darf ich auch, signori, zum erlauchten Symposion | 690 |
Meinen Senf mal geben? Seid so gut und erläutert | |
Bitte das Ziel eurer Liebessiege.« Ich wusste bereits | |
Die Antwort: Liebe selbst und wohl Beziehungen bilden. | |
Hermes und Herakles’ Sohn und auch ein englischer Typ | |
Einigten sich: Ab dreißig braucht der Mann ein Weib. | 695 |
Darum muss man ja schon früh in die Diskos gehen, | |
Viel erleben, viel erfahren – sich für Eine entscheiden. | |
Jedes Dorf, sie sagten, hält seine Tanzveranstaltungen, | |
Sofern es überleben möchte. Sie wussten von Beispielen! | |
Sie hatten selber hinter sich ein Dutzend Beziehungen, | 700 |
Doch bevor sie die prä-historischen Lebensgeschichten | |
Zu Ende erzählten, achteten sie gestört auf mein Gähnen. | |
Also lachte der Phoibos und gab seinen giftigen Senf: | |
»Eure Beziehungen sind höchstens spannend, fürwahr, | |
Schade ja nur, wenn ich so viel Berührendes höre, | 705 |
12
Schade nur für euch, dass einer weniger liebt!« | |
»Wie?« der eine holte sein Schweizer Messer heraus, | |
als ob ich seiner Freundin Schlimmes unterstellt hätte. | |
Hermes musste den Mann beruhigen, war ja das Pärchen | |
Schon seit vielen Jahren zusammen. Aber mein Spruch, es | 710 |
War nun herrschende Meinung, bedürfe einer Erklärung. | |
Also ließ ich mich nicht bitten, ich sagte die Wahrheit: | |
»Auch dem Gaga-Guffi scheint es lächerlich, Kinder, | |
Dass von zweien Liebestäubchen beide sich lieben | |
Gleicher Maßen, die eine genau so viel wie die andre. | 715 |
Eine Taube wird mehr, die andere weniger lieben, | |
Wie denn nicht? Andere Seelen erleben die Liebe | |
Anders. Nur in euren Träumen ist möglich ein Bild, | |
Da Liebe einen jeden nach gleichem Maße bewegte. | |
Quatsch! Vergleicht, in jedem Wunderpärchen der Welt, | 720 |
A und B, eins und zwei, mit dem ersten den zweiten. | |
Wo, ich frage, findet ihr das merkliche Paar, | |
Da weder A noch B den anderen weniger liebte?« | |
Wortgefechte breiteten durch die Kneipe sich aus, | |
Doch die allgegenwärtige Frage umschlang die Gemüter. | 725 |
13
Leute von draußen schauten hinein, ob alles in Ordnung, | |
Ich aber schob mein Glas zur Seite, gedachte der Daphne. | |
Sie wäre die weniger liebende Seele in unserem Bunde, | |
Aber dieses betrübte mich nicht. Die größere Liebe | |
Oft ergänzt der Seelen Lücke. Ich wäre bereit, | 730 |
Dem mahnenden Worte Aphrodites Folge zu leisten, | |
Und meine Liebe würde Daphne zum Göttlichen führen. | |
Nicht mein Herz sie sollte lieben, sondern das Schöne | |
Selbst, das Wahre, die unberührbare Blöße der Pallas. | |
Jeden Tag ich sollte Freundschaft pflegen und Neigung | 735 |
Zueinander sollte gedeihen – ein innerer Garten. | |
Jener aber, der weniger liebt, ist weniger stolz – | |
wie denn nicht, wenn Liebe bloß Begierde bedeutet? | |
Weniger edel war jener, der liebend vieles begehrte. | |
Auch wenn Musen mir sagten, dass eine Seele mich liebt | 740 |
Vom ganzen Herzen – in mir den guten Hafen erkennt, | |
Gerne wär ich der diese Seele weniger liebende. | |
Welchen Adels sollte sich lieber rühmen ein Herz | |
Als dieses höchsten: Holde Seelen edel zu führen, | |
Ihnen Gestirne zeigend? Hinter Sternen des Inneren | 745 |
14
Alle hegten dieselbe Neigung, das Schöne betrachtend, | |
Gegeneinander, jeder eines jeden Teilchen beglückte. | |
Doch Begierde wird schwer gestillt. Wenn also Verlagen | |
Immer mehr sich wünscht und mäßige Regung nicht reicht, | |
Schwindet das Wahre. Phoibos ist aber befreiende Flamme, | 750 |
Mehr als viel und als wenig genügende Liebe die wahre. | |
»Dieser Gedankengang ist Kokolores, mein Göttlicher, | |
Soll ich dir erklären, warum?« Es war der heraklische | |
Sohn, der mich vom Tutti-Frutti-Taumel der Freude | |
Holte zurück, nachdem er lang im Stuhle gegrübelt, | 755 |
Gleich den einstigen Al-Kaeda-Jüngern, verschwörend | |
Im ruhigen Schoss der Hamburger Terroristenschule. | |
Einsatzbereit, es schien, der Junge hatte die Bombe | |
Und warf sie mit Stolz auf mich: »Höre also, warum! | |
Allzu schlicht ist dieses Bild der Seele, zumal die | 760 |
Liebe keine numerische Wesenheit darstellt, hallo! | |
Als könnte ein dubioser Frommer Gefühle vergleichen!« | |
Hermes und viele andere stimmten dem Herakles zu, | |
Insbesondere, wohlgemerkt, der englische gentleman | |
Dort zu Besuch und ganz erfahren. Er wusste klarzustellen | 765 |
15
Meinen Nonsens. Wenn Liebe jedem anders geschehe, | |
Sei sie nimmer derart, dass jemand die Liebe von A | |
Vergleichen könne mit jener von B aus logischen Grunde: | |
Liebe sei in jedem sie hegenden »something unique!« | |
Viel Applaus dieser Weisere wusste sich zu erwerben: | 770 |
Wieder schloss sich der treue Hermes an und belachte | |
Meine Einfalt. Ich, für meinen Teil, ennuyierte | |
Sicher solche bunte Gesellschaft, young and virile: | |
Yet I knew the truth and enjoyed my cleverer wit. | |
I turned to such an innocent youth, so full of furore, | 775 |
Graciously gazing upon his hair, and opened my mouth: | |
»Höre, ὦ παῖ καλέ, ich hätte mich beinah verloren, | |
So überzeugend du deine Sache weißt zu verteidigen. | |
Gerne gesteh ich, die Rede hätte mich überwältigt, | |
Weder in Hamburg noch im Olymp ich hätte gefunden | 780 |
Solch erlauchten Kreis und weiser gar als die Greisen | |
Einst von Theben am Tage des Zornes: Love is unique! | |
Doch, Gelehrte des Hamburger Berges, kläret mich auf: | |
Welchen eurer weisesten Sprüche soll ich verwerfen? | |
Denn es passt, so scheint es mir, gar nicht zusammen, | 785 |
16
Dass einerseits ein jeder liebe nach seiner Natur, | |
Wie euer Herold hier verkündet – dass andererseits | |
Es sei natürlich Gesetz, ich müsse meine Geliebte | |
Daphne flachlegen gleich beim ersten Date im Gebüsch! | |
Was für Gesichter sind das? Wenn jeder anders liebt, | 790 |
Apollo kann sich leisten, nach seiner Weise zu lieben. | |
Eine eurer heraklischen Phrasen ist für die Katz, | |
Entscheidet welche!« Freilich wollten sie rebellieren, | |
Aber diesmal stand ich selber auf und erwiderte | |
Bösen Gedanken: »Was die Liebe des weniger Liebenden | 795 |
Anbelangt, sei beruhigt, o Sprößling des Halbstarken, | |
Denn es könnte durchaus sein, dass in deiner Beziehung | |
Du derjenige bist, der weniger liebt, und wahrscheinlich!« | |
Neue Bescheidenheit beschlich die Kneipengelehrten: | |
»Mein Süßer,« sagte Hermes, »wir verwerfen den Satz, | 800 |
Dass man mit Geliebten umgeht als wären sie leges naturae.« | |
Doch der englische bon vivant, pragmatischen Geistes, | |
Zündete etwas Herrliches an zu rauchen und fragte: | |
»What are you going to do – next? You got her number, | |
Great, but is that all?« ✠ Am Dienstag rief ich sie an: | 805 |
17
»Ich hab gehört, ein guter Freund von dir ist gestorben, | |
Tut mir leid!« Sie nahm davon gebührende Kenntnis: | |
»Ach, Apollo, das Leben geht ja weiter, was soll’s?« | |
Ich habe ja erst, nachdem sie Baum geworden, erfahren | |
Von ihrer Schwäche für schwere Chemie: »Ist es vielleicht | 810 |
Möglich, Süße, dass wir uns diese Woche noch treffen?« | |
»Gucken wir mal, ich ruf dich an.« Und ich habe gewartet – | |
Sicher nicht aufm Sofa sitzend. Ich musste entscheiden, | |
Wie ein Gott, Aphrodites Regel folgend, sein Liebchen | |
Führt zur Lust am göttlich Schönen. Also begab ich | 815 |
Mich zum Colonnaden und kaufte der holden Geliebten | |
Gleich eine Video-Aufnahme, die unwiderstehlichste aller, | |
die sagenhafte crème de la crème vom Bolschoi-Ballett! | |
Dies allein genügte an sich, doch ich fügte hinzu, | |
Um nicht pedantisch zu wirken, eine Bild-Reportage: | 820 |
Über Ufos. Tagelang ich versteckte mein Treiben, | |
Ließ mich weder von Hermes noch in Kneipen erblicken. | |
Später ward ich gewahr, ich könnte meine Prinzessin | |
Mit dieser DVD ennuyieren, und hielt es für sicher, | |
Zunächst eine progressivere SMS zu verschicken, | 825 |
18
Damit sie meine Coolness erkannte. Ich faßte Mut | |
Und traf die gute Wahl: »I wanna hold your hand!« | |
Paul-McCartney-Sprüche vollbringen Wunder, bestimmt. | |
Sorgen begann ich mir erst am Samstagmorgen zu machen, | |
Da das liebe Schätzchen mir jede Antwort verweigerte: | 830 |
Nicht ein :-) geruhte die schlimme Kuh zu verschicken! | |
Hatt ich denn was Falsches gemacht? Hermes bekam den | |
Krassen Molotowcocktail zu sich nach Hause geschickt | |
Und ich ertränkte meines Boten Schultern mit Tränen. | |
Aber der wusste, ein krankes Guffiherz zu behandeln | 835 |
Und wies mein antikes No-llores-por-mí-Argentina zurück. | |
Daphne sei die schlechteste Wahl. Er habe seit immer | |
Gewusst, die Geschichte werde wohl in Tränen enden. | |
Doch bevor er griff zum kläglichen Facebook-Account, | |
Die Zwanzig zur Krisensitzung rief im Hamburger Berg, | 840 |
Nahm ich seinen PC und drohte, das Ding aus dem Fenster | |
Zu werfen. Doch er bediente sich eleganterer Tools – | |
Schon um Viertel vor Sieben saß der Hof in der Kneipe. | |
Herakles’ Sohn moderierte jetzt den Wiener Kongress, | |
Und dennoch mit viel Elan und mal du siècle entmutigte | 845 |
19
Ich die Gemüter. Daphne, erklärte ich den Erlauchten, | |
Liebe die Freiheit. Wider Erwarten erwiderte Hermes, | |
Ich hätte sie lieber flachgelegt, bevor ich das Mädel | |
Frei der Lust der Welt übergäbe: »Liebe Berater,« | |
Sagte ich, der ich inzwischen bereute die Tränen, | 850 |
»Behaltet eure schlimmen Schweinereien für euch | |
Und seid, ich bitte, einmal etwas ehrlich im Leben. | |
Diese Erlebnisse stärkten meine alte Gewissheit: | |
Der Edle soll das Schöne mehr als die Schöne begehren.« | |
Hatte doch nicht Athena am Tag der Geburten verkündet: | 855 |
Erkenne dich selbst? Das Wahre sucht ein Weiser in sich. ✠ | |
Schön ist aber keinesfalls ein Wechsel des Scheins, | |
Blüte heute, morgen Wind. Die Regung der Saiten | |
Tief in der Brust, Geburt des allerhöchsten Gefühles | |
Führt und offenbart in uns des Erhabenen Blöße. | 860 |
Schön ist dem bloßen Gemüt geschehende Wahrheit, | |
Blüte der Rest und rauer Staub. Verlorene Zeit | |
Bereut das Eitle. Gefühlenwerdung beständigen Seins | |
Berührt allein den Abgrund, viel betrachtende Langmut | |
Nur Bestand, Athenas Geheimnis. Aber der wackere | 865 |
20
Herakles dort vom Hamburger Berg war nicht überzeugt: | |
»Schön und gut, die alten Sprüche gegen Vergängliches. | |
Möge Pallas die Frechheit verzeihen: Ist eine Blüte | |
Vergänglich, die zwar ein wenig nur besteht und verwelkt, | |
Die aber sich stetig wiederholt und gedeiht überall? | 870 |
Meine Güte, ich wirke poetisch – ist der Orgasmus, | |
Apollo, vergänglich oder kurz? Es scheint mir mitunter, | |
Dies Gespür, obwohl im Menschen kurze Erscheinung, | |
Stets sich wiederholt und ein Leben lang uns begleitet. | |
Nimmt es also nicht am beständig Erhabenen teil? | 875 |
Ist ein guter Fick verpönt?« Ich begriff die Gefahren | |
Meiner Lage und überließ Aphrodite das Antworten: | |
»Schöner Freund, durch welche Schicksalsfügung getroffen | |
Kommst du darauf, Naturgebrauch in uns zu befürchten? | |
Was du treibst und mit wem, es ist dir selbst überlassen. | 880 |
Doch der Orgasmus des Liebenden hat vielleicht einen Zusatz, | |
Etwas vom Schönen, was den Spritzen des Lüsternen fehlt. | |
So genießt es der Liebende mehr, und der Lüsterne leidet.« | |
Doch ich wurde gefragt, ob ich wegen Daphne nicht leide: | |
»Ja! Ich leide aber bewusst und in Maßen. Der Lüsterne | 885 |
21
Weiß aber nicht um sein Leid und also leidet am meisten.« | |
»Kokolores,« versetzte der Hermes, »ich sage warum: | |
Eben habe ich Daphnes leckere Freundin getroffen, | |
Die vom letzten Mal, und hörte die traurige Wahrheit: | |
Daphne hatte voll Lust darauf – sie hat ja gewartet, | 890 |
Doch du hast über Ufos gelabert und ergo, signori, der | |
Schluss: Wer solch ein Angebot erhält und verpasst, | |
Der ist sicher schwul oder schlecht im Bett oder dumm. | |
Entscheide selbst, Apollo, was für dich ist der Fall.« | |
Die Zwanzig bescherten unisono Beifall dem Redner, | 895 |
Aber ich lachte und machte mich gemütlich im Stuhl: | |
»Deine Kategorisiegung der Welt ist bombastisch, | |
Hermes, mein lieber Schwan, du bist gewiss Philosoph. | |
Doch ich dachte, wir hätten letztes Mal entdeckt, | |
Liebe geschehe jedem anders, nach seiner Natur | 900 |
Ein jeder liebe und seine süßen Tropfen gebrauche. | |
Danke, Merkur, du klärst mich über vieles nun auf.« | |
Jener englische gentleman, der schweigend alles vernahm, | |
Merkte an, die zarten Zeiten von Schlegels Lucinden, | |
Goethes »Trocknet nicht, Tränen der ewigen Liebe,« | 905 |
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Seien vorbei, und ich komme nicht viel leichter davon, | |
Ich müsste meinen Touché vor aller Augen erkennen, | |
Sonst man werde denken, ich habe Daphne, die Lüsterne, | |
Gönnerhaft behandelt in Zeiten von Freiheit und Pille – | |
Denn es sei ein Werk der Frauenbewegung, dass Daphne | 910 |
Sich erlauben könne, sich ranzuschmeißen an mich: | |
Warum denn hab ich nicht gehandelt? Treffender Schlag! | |
Doch ich faßte Mut und sagte die alberne Wahrheit: | |
Daphne wollte nicht mich – Orgasmus wollte sie nur. | |
Ich aber wollte Daphne – nicht Orgasmus allein. | 915 |
Fragt sich jemand noch, was ich von Daphne gewollt? | |
Sie den ganzen Abend halten gegen die Brust, | |
Haare streicheln, Hände küssen, herzliche Hoffnung | |
Hegen, einen sanften Atem im Stillen belauschen, | |
Viele Liebesgedichte auf der Stelle erfinden | 920 |
Und später, nach dem Sternenflug im ewigen Schein, | |
Gemütlich liegen, viel zusammenknutschen im Bett, | |
Unter der Decke. Alles wird geteilt in der Liebe. ✠ | |
Meine de-profundis Bekenntnisse hörten die Zwanzig | |
Und konnten sich in voller Ekstase kaum noch halten. | 925 |
23
Alles, was einer Erklärung bedurfte, wurde gesagt, | |
Nur dem eigenen Hauch ich musste bringen Erkenntnis | |
Über die Kälte. Ich, der ich nun klagte so lange | |
mit Schillers Liedchen: »Ihrer Flamme Himmelsglut, | |
Stirbt sie, wie ein irdisch Gut?« und hatte erkannt, | 930 |
Wo die Liebe zum Leiden wird, ich brauchte die Wahrheit | |
Mehr als Lieder – der ich zwar wusste, was es bedeute, | |
Nicht zu lieben, aber wusste noch nicht die Bedeutung | |
Dessen: Nicht geliebt zu werden – die Seele verschütten | |
In einen löchrigen Eimer. Nicht ein einziger Schlag | 935 |
Deines Herzens, Daphne, wird dem Phoibos geschenkt – | |
Oder doch! Du hast mich geschlagen. Ich könnte den Über- | |
Menschen überwinden, du hättest mich nicht anerkannt. | |
Und wenn ich mich allein in einem Garten ergehe, | |
Sitz ich lange denkend unter dem Schatten des Baums, | 940 |
Auf einer Bank, und weiß es, bald ich werde betreten | |
Jene himmlische Stätte der immer-währenden Blöße, | |
Werde einst am Arme der Pallas die Tränen vergießen. | |
Doch Betrachtung dieses Lichtes wird löschen das Leid, | |
Da dort ich die letzte sehen werde, erhebende Wonne, | 945 |
24
Deren nur der Schein du warst: Du ahmtest sie nach. | |
Es mag ja sein, dass wir uns wieder treffen am Tage | |
Der Seelen und ich ein Teil von jedem Herzen erhalte, | |
Deines auch in der Halle der Wahrheit möge erkennen. | |
Aber wenn ich dich verlor, berühr ich im Grünen | 950 |
Tote Blumen und weiß, ein einziges Feuer belebte | |
Alle Herzen, meines und deins. Im endlosem Scheine | |
Schwinden wir zusammen, in mir ein Schweigen von dir. | |
Jetzt versteh ich dieses Weder-Verstehen-noch-Lieben, | |
Echo des Leeren. Meine vielen Erklärungen machten | 955 |
Großen Eindruck im Wiener Kongress. Die Kneipe schwieg. | |
Kurz danach erkannte ich Daphne. ✠ Die ganze Geschichte | |
Über Apollos Verfolgung begann, als ich mich entschied, | |
Der Geliebten die herrliche DVD vom Bolshoi-Ballet | |
Zu überreichen. Wie denn nicht? Ich wusste natürlich, | 960 |
Daphne wollte nichts von mir, und dennoch erfuhr ich, | |
Sie tanzte gerade frohen Muts in der Disko daneben. | |
Also fuhr ich schleunig nach Hause, packte das Ding | |
In eine Tüte – wahrscheinlich Aldi, ich musste ja sparen –, | |
Rannte zum Hamburger Berg zurück und erreichte die Fete. | 965 |
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Hermes und seine Zwanzig rochen Lunte und folgten. | |
Dort ist alles grandios aus dem Ruder gelaufen, | |
Daphne dachte, drehte durch und lachte mich aus, | |
Ich sprach sie an und so begann das ganze Theater: | |
»Digga,« sie meinte, »wird ja Zeit, die Kurve zu kratzen!« | 970 |
Sicherlich war ich ungehalten: »Ich wollte nur sagen...« | |
Aber sie gab mir keine Chance, die Tüte zu zeigen, | |
Sie ging heraus. Also folgte ich und versuchte | |
Noch: »Ich wollte dir was schenken, Grausame, warte!« | |
Doch sie lief durch die ganze Reeperbahn – und sie schrie | 975 |
Wie geisteskrank und dicke Kinder gebärend um Hilfe. | |
Ich übequerte die Straße, die Marathon zu verfolgen, | |
Aber Hermes trat mir mit seinen Zwanzig entgegen: | |
»Bist du verrückt?« »Daphne, Daphne, warte, Geliebte!« | |
Rief ich ins Leere, denn weder konnte sie mich vernehmen | 980 |
Noch der Hermes den Sinn verstehen. Er hielt aber fest, | |
Wir gingen, bevor die ersten Polizisten erschienen. | |
Zu Hause sah ich die Tüte wieder an und begriff es: | |
Von Ufos hat sie nie was gehalten! – Aber das Video | |
Hätte ihr bestimmt gefallen, erbärmliches Vieh! | 985 |
26
»Stell dich nicht so an, das wäre völlig peinlich,« | |
Warnte Hermes. Ich erging mich in tiefen Gefühlen. | |
Doch Suizidgedanken ließen den Merkur nur kalt: | |
»Hör doch auf, kauf dir ein Auto und Schluss – fini!« | |
Der Schelm überredete mich, ich kam zurück in die Kneipe, | 990 |
Da des Phoibos amour passionnel, pathetisch besungen, | |
Eine Stimmung von Billie-Holiday-Liedern kreierte, | |
Bedrückend wie ihren eigenen Tod. Aber die Daphne | |
Folgte ihr durch ähnliche Wege: Nach wenigen Wochen | |
Erfuhr Apollo von ihrem Todeskampf auf der Straße, | 995 |
Begleitet vom Chor der Koksen-Freunde. Man sagte sogar, | |
Sie sah so aus wie ein Baum, so grün und blau und so gelb. | |
Daphne rannte wie verrückt durch die Wege und flehte | |
Um Hilfe. Ich hätte ohne Zweifel ihr Leben gerettet. | |
Aber den Rausch, dem sie erlag, ich konnte nicht bieten | 1000 |
Diesen Orgasmus. Sie bat die chemischen Götter um Beistand | |
Und Beistand sie gaben gern, verlangten aber den Preis | |
Als Daphnes Metamorphose, des Todes Blüte im Blute. | |
Wer den Zufall nicht beugt, ergebe sich und betrachte, | |
Wie es dem Schicksal beliebt, die Elemente zu einen, | 1005 |
27
Auseinanderzunehmen, in ewigem Rätsel zu herrschen: | |
Nicht ein Gott vermag es, Fortunas Willen zu brechen. | |
Also ergeh ich mich in Ohlsdorfs grausamen Gärten, | |
Klage umsonst am Baumesgrab. Am Morgen des Unfalls, | |
Da Hermes, seine Zwanzig und ich – wir wussten noch nichts – | 1010 |
Die Kneipe verließen und gingen die alte Straße herunter | |
Richtung Fischmarkt, wusste ich, dass keine der Schritte | |
Meiner Liebe Bestand noch bietet. Wir wussten es alle: | |
Aus Hamburgs Gassen ist keine wahre Liebe gekommen. ✠ | |
Kommt, ihr Musen, nehmt mit mir besiegende Blätter, | 1015 |
Lasst uns Siegeskränze binden für leidendes Leben, | |
Zarte Herzen mit Lorbeer zu krönen. Edlen verkündet, | |
Ein göttlicher Funken nicht verliert und nimmer vergeht: | |
Erhebt den Geist am Tage der Blöße und lasst ihn genießen | |
Nie versiegende Quelle, Trost, Erkenntnis des Letzten. | 1020 |
Ist die Liebe Erkenntnis? Ich komme nach Hause zurück, | |
Das Bild vom schwarzen Fluss im Sinn, ich lege mich hin | |
Und finde Ruhe im Schoße meines Kissens. Mein Kissen | |
Kleidete einst ein blumenverzierter Bezug – ein Idyll | |
den Müden lud zum Träumen ein. Die Blüten vergingen. | 1025 |
Später umarmte ich die Formen des Maßes, der Ordnung, | |
Legte den Kopf auf Gewebe dunkleren Musters, kariert | |
Mit Rot und Gold. Ich nahm die weißen Daunen heraus | |
Und füllte das Universum mit Wünschen. Aber die Farben | |
Haben mich betrogen. Ich habe die Stoffe gewechselt, | 1030 |
Einen weißen Bezug gewählt, und keinerlei Bilder | |
Behält mein Kissen noch. Ich fülle nun dieses innere | |
Meine nur mit Schaumstoff, um schön in Ruhe zu schlafen. |